Einladung an Kunden zum Fastenbrechen im Ramadan
Was tun, um mehr Gemeinschaft unter den Menschen im Kiez zu fördern, das hat sich Cem, der Fahrradhändler in der Delbrückstraße, gefragt. Wie in den Vorjahren hat er Kunden zu einem Fastenbrechen im Ramadan eingeladen. Cem ist Muslim und wollte sich bei seinen Kunden bedanken. Seine Familie hatte für fünfzehn Leute ein typisches Essen vorbereitet.
Ein Muslim soll im Ramadan zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nichts essen und nichts trinken. Der Ramadan dauert vier Wochen. Nach Sonnenuntergang wird das Fasten unterbrochen. Zuerst wird ein Glas Wasser getrunken, dann werden Datteln und eine Suppe gegessen, anschließend folgt ein gutes Abendessen. Arhan, ein Freund von Cem, sprach ein Gebet, das wie bei den Christen und Juden mit »Amen« endet.
In der großen Runde nach dem Essen erzählten alle etwas über sich, was sie arbeiten oder studieren und wie sie nach Berlin gekommen sind. Ein Gast ist aus Japan, wo er geboren wurde, über Neuseeland, wo er aufwuchs, bis nach Berlin gekommen. Ein anderer hatte 1990 gerade seinen Uniabschluss in der DDR in Geschichte gemacht. Was konnte er mit einer Ausbildung, die die Geschichte durch den Filter des historischen Materialismus betrachtet, an einer Schule im vereinigten Deutschland machen?
Wie aus Traditionen Missverständnisse entstehen können, dazu erzählte einer der Gäste die Geschichte vom Besuch seines Vaters aus der Türkei. Ein paar Tage nach seiner Ankunft wurde der Vater ungeduldig und fragte seinen Sohn: »Hier bei dir stimmt was nicht, kennst du deine Nachbarn nicht? Sie müssten doch zu mir kommen und mich fragen, ob es mir gut geht oder ich etwas brauche?« Der Sohn klärte ihn auf, so eine Tradition gäbe es hier nicht. »Aber man kann zu den Nachbarn gehen und sich vorstellen.« Das taten sie dann. Sie waren überrascht, wie positiv die Nachbarn darauf reagiert haben.
Ein anderer erzählte, dass er in der Türkei Statistik studiert hat. Danach wollte er in Deutschland leben. Er bekam einen Job in Berlin. Das ging ein paar Jahre gut, dann wurde er arbeitslos. In Baden-Württemberg bekam er eine Arbeit an einer CNC-Maschine. Das hat ihm gefallen, aber seine Familie war in Berlin. Sein Verhältnis zum Chef und zu den Kollegen war aber so gut, dass er nicht einfach kündigen konnte. Das fand er zu kalt. Deshalb überreichte er ein größeres Geschenk und steckte die Kündigung rein.
Eine Lehrerin freute sich über die neuen Kontakte an diesem Abend, denn sie ist immer wieder auf der Suche nach Menschen, die zu ihr in die Schule kommen und ihren Schülerinnen und Schülern von ihrer Arbeit erzählen und so bei der Berufsorientierung helfen. Günter Mayer