Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 135 – Sonntag, 9. Juni 1918
Strenges Tischtuchverbot. Die Reichsbekleidungsstelle hat, wie bekanntgegeben, vor längerer Zeit ein Tischtuchverbot für die Gastwirtschaften und Hotels erlassen. Eine Ausnahme war nur für diejenigen Wirtschaften gestattet worden, deren Tische mit Fries belegt sind. Da vielfache Umgehungen dieses Verbots festgestellt worden sind, so hat sich die Reichsbekleidungsstelle entschlossen, ein allgemeines Tischtuchverbot anzuordnen. Das neue Verbot tritt mit dem 1. Juli in Kraft. Von dem Verbot werden jetzt auch die Klubs, Kasinos, Kantinen usw. betroffen. Papiergarntischtücher dürfen auch ferner verwendet werden. Bei Privatgesellschaften, Hochzeiten usw. dürfen Tischtücher verwendet werden, wenn sie von den Veranstaltern mitgebracht werden. Die durch das strenge Verbot gewonnenen Wäschestücke sollen in erster Linie für Säuglingswäsche benutzt werden.
Nr. 135 – Sonntag, 9. Juni 1918
Städtische Bekleidungsstelle. Den Schwierigkeiten in der Versorgung der ärmeren Bevölkerung Neuköllns mit Kleidungsstücken und Schuhwaren Rechnung tragend, hat der Magistrat den städtischen An= und Verkauf Bergstr. 29 auch in letzter Zeit erheblich vergrößert. Eine weitere Vergrößerung des Betriebes soll nach dem 1. Juli stattfinden, da erst von diesem Zeitpunkt ab Räume zur Verfügung stehen. Um der Bevölkerung Gelegenheit zu geben, schadhaft gewordene Strümpfe wieder herzustellen, bringt der Magistrat einen größeren Posten Füßlinge zu annehmbaren Preisen zum Verkauf. Außerdem sollen in den nächsten Tagen auch Sohlenschoner und Schnürsenkel feilgehalten werden. Der Verkauf geschieht nur an Neuköllner, ist aber für diese von keinen Beschränkungen abhängig. Falls es dem Magistrat gelingen sollte, noch weitere Artikel aufzukaufen, werden auch diese Bergstraße 29 feilgehalten werden. Der Verkauf wird jeweils wieder bekannt gemacht. Im Interesse unserer notleidenden Bevölkerung ist es aber dringend geboten, daß unsere bessergestellte Bevölkerung möglichst alle entbehrlichen Kleidungsstücke, Wäschestücke und Schuhwaren bei dem städtischen An= und Verkauf abliefert. Die durch angestellte Taxatoren geschätzten Preise werden sofort ausgezahlt. Auf Verlangen werden auch Abgabebescheinigungen zur Erlangung von Bezugsscheinen für neue Kleidungsstücke ausgehändigt.
Nr. 140 – Sonnabend, 15. Juni 1918
Verfaulte Kartoffeln. Seit einigen Tagen sieht man in den Straßen Berlins Militärautos, die mit riesigen Ladungen verfaulter, pestilenzartig stinkender Kartoffeln dem Tempelhofer Felde zurollen. Wie der »Vorwärts« erfährt, stimmen diese aus den Lägern der staatlichen Verteilungsstelle Groß=Berlin. Ihr Verderben ist nach der Meinung von Fachleuten auf die gänzlich unzweckmäßige Einkellerung zurückzuführen.
Nr. 144 – Donnerstag, 20. Juni 1918
Ein Mann, der einen Zeitungsberichterstatter wissentlich belog und sich später damit gerühmt hatte, eine unrichtige Nachricht durch die Presse verbreitet zu haben, wurde vom Gericht zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
Nr. 148 – Dienstag, 25. Juni 1918
Im Körnerpark und im Gehölzstreifen am Tempelhofer Felde, der viel zu Spaziergängen genutzt wird, sollen nach einer der Stadtverordnetenversammlung zugegangenen Magistratsvorlage 40 provisorische Bänke aufgestellt werden. Zu provisorischen Bänken, bestehend aus Baumpfählen als Untergestell und Latten als Sitzbank ohne Lehne muß man greifen, weil Gartenbänke zurzeit nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten zu beschaffen sind.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1918 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Als die Tischdecken verboten wurden
Um Textilien zu sparen, griff die Reichsregierung zu drastischen Maßnahmen
Das letzte Kriegsjahr war angebrochen. In Deutschland herschte durch den Krieg ein extremer Mangel an Leinen, Baumwolle und Wolle. Selbst auf dem Schwarzmarkt wurden kaum noch neue Textilien angeboten. Neue Kleidungsstücke zu bekommen, war fast aussichtslos. Die Menschen waren schon froh, wenn die nach Meinung der Reichsbekleidungsstelle überzähligen Kleidungsstücke aus Privatbesitz nicht beschlagnahmt wurden. Diesbezügliche Verordnungen gab es seit 1916 als die Reichsbekleidungsstelle gegründet wurde, deren Aufgabe es war, den Bedarf der Zivilbevölkerung an Webstoffen und fertiger Kleidung zu bewirtschaften.
Der Mangel machte sich auch bei so unspektakulären Dingen wie Tischtüchern und Servietten bemerkbar. Bereits seit dem 1. Oktober 1917 war Gaststätten deren Verwendung in den meisten Fällen verboten und ihre Ablieferung vorgeschrieben, weil aus den Tüchern Wäsche für Kleinkinder hergestellt werden sollte. Wer seine Gaststube trotzdem mit Tischtüchern festlich herrichtete, riskierte eine empfindliche Geldstrafe oder gar eine Haftstrafe.
Auch die Ausgabe von Handtüchern an Hotelgäste und der Bettwäsche-Wechsel wurden exakt geregelt.
In einer Bekanntmachung der Reichsbekleidungsstelle heißt es: »In Gewerbebetrieben, in denen Fremde zur Beherbergung aufgenommen werden, darf jedem aufgenommenen Gast nicht mehr als ein frisches Handtuch für jeden Kalendertag zur Benutzung verabreicht werden. Für die Benutzung eines Bades dürfen jedem Gast auf die Dauer eines Kalendertages ferner zwei Handtücher oder an Stelle des zweiten Handtuchs ein Badetuch oder Frottiertuch überlassen werden.« Und die Bettwäsche durfte erst nach Beendigung seines Aufenthaltes oder bei längerem Aufenthalt erst nach einer Benutzungsdauer von wenigstens sieben Tagen ausgewechselt werden.«
mr