Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr 104 – Donnerstag, 2. Mai 1918
Oeffnung des Körnerparks. Um den Bürgern unserer Stadt Gelegenheit zu geben, den Körnerpark zu besichtigen, wird derselbe am Sonntag, den 5. und 12. Mai nachmittags von 4 – 6 Uhr, ausnahmsweise geöffnet gehalten werden. Eine weitere Freigabe wird voraussichtlich vorläufig nicht erfolgen können, da es nicht möglich war, die für den Park notwendigen Bänke zu beschaffen, es auch an Personal zur Beaufsichtigung mangelt. Der Magistrat läßt aber dringend darum bitten, darauf zu achten, daß Beschädigungen jeder Art vermieden werden.
Nr 118 – Sonntag, 19. Mai 1918
Herzliche Bitte! Das durch den Krieg veranlaßte Fernsein der Väter zerreißt mehr und mehr die Fäden fester Familienzucht. Die außerhäusliche Arbeit der Mutter zeitigt die schlimmsten Folgen in der Erziehung unserer Kinder. Die Verwahrlosung auch unserer Neuköllner Jugend nimmt zu. Diebstähle, Unterschlagungen, Frechheiten sind an der Tagesordnung. Das Jugendgericht verlangt Jugendhilfe Männer und Frauen Neuköllns! Helft der Jugendgerichtshilfe! Uebernehmt Recherchen und Schutzaufsichten, unsere Kinder vor weiterer Gefährdung zu schützen. Alle Kreise sind zur Mitarbeit freundlichst eingeladen. Eine große Zahl von Mithelfern verteilt die Arbeitslast und verspricht in der Einzelfürsorge größeren Erfolg.
Nr 120 – Donnerstag, 23. Mai 1918
Papierersparnis. Der »Allg. Anz. für Druck« schreibt: Es werden jetzt eine Unmenge Dinge aus Papier hergestellt, und nicht zuletzt dadurch ist der Papiermangel entstanden, der unsere Zeitungen, Zeitsschriften und Bücher schwer trifft. So lange es sich um Gegenstände handelt, die man nötig braucht, wird niemand gegen die Verwendung von Papierstoff sein; wenn es sich aber um Luxusartikel oder um Artikel, die nur einer Laune des Fabrikanten entsprungen sind, handelt, muß man im Interesse der deutschen Kultur entschieden Einspruch erheben. Was hat es beispielsweise für einen Wert, wenn auf der Ausstellung in Berlin Stühle, deren Beine aus Faserstof geflochten sind, ausgestellt wurden, während eine Reihe bester deutscher Bücher nicht herausgebracht werden kann und Fachzeitschriften, die ihrem Gewerbe bitter not sind, sich schwer einschränken müssen, weil das Papier fehlt, und wichtige Nachrichten dem deutschen Volke vorenthalten werden müssen, weil die Tageszeitungen ebenfalls an Papierknappheit leiden. Allein das Material, das durch die Versuche, derartige unnütze Luxusgegenstände aus Papier herzustellen, an Zellstoff verbraucht wurde, geht ins Ungemessene.
Nr 124 – Dienstag, 28. Mai 1918
Rauchverbot in der Straßenbahn. In Breslau ist das Rauchen auf allen Plätzen der Straßenbahnwagen untersagt worden. Dies Verbot bezweckt, die Beschädigung von Kleidungsstücken, wie sie bei den zeitweilig stark überfüllten Wagen vorgekommen ist, zu verhindern. Auch das Mitbringen von brennenden Zigarren usw. wird unter das Verbot gestellt. Die Schaffner usw. sind angewiesen, auf die Beachtung dieses Verbotes zu halten. – Das gleiche Verbot wäre auch für Großberlin am Platze.
Nr 127 – Freitag, 31. Mai 1918
Die Epidemie in Spanien. Bern, 29 Mai. Temps berichtet über die Epidemie in Spanien: Das Sanitätskomitee in Madrid hat eine Reihe Verordnungen zur Bekämpfung der Epidemie erlassen. In Madrid sind 80 000 Personen erkrankt, in Barcelona 20 000 bis 30 000. Todesfälle sind bisher nicht zu verzeichnen, die Ursachen der Epidemie sind vollkommen rätselhaft.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1918 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Schnell, aggressiv und tödlich
Die »Spanische Grippe« wütet rund um den Globus
Die Pandemie, die 1918 plötzlich auftrat und bis 1920 weltweit wütete, sogar in Inuitdörfern und auf Samoa, ist als »Spanische Grippe« in die Geschichte eingegangen. »Spanisch«, weil ihr Auftreten zunächst in Spanien bekannt wurde, wo auch König Alfons XIII. und mehrere Regierungsmitglieder erkrankten. Vor allem aber, weil das neutrale Spanien im Gegensatz zu den kriegführenden Mächten keine strenge Pressezensur unterhielt und daher offen berichtet werden konnte.
Wo die Grippe tatsächlich ihren Ursprung nahm, ist bis heute nicht genau geklärt. Erste gesicherte Meldungen kamen aus dem mittleren Westen der USA. Von dort wanderte sie mit den Militärtransporten nach Osten und erreichte im April Frankreich. Im Mai stieg der Krankenstand der Royal Navy auf 10.000 Soldaten, im Juli stellte der Co-Chef der deutschen Obersten Heeresleitung, Erich Ludendorff, fest, dass die Grippe »überall stark um sich« greift und machte dies für das Scheitern seiner letzten Großoffensive an der Marne verantwortlich.
Beim ersten Ausbruch im Frühjahr 1918 erkrankten zwar sehr viele Menschen, aber relativ wenige starben. Im Herbst nahm dann eine weitere, diesmal tödliche Welle ihren Lauf. Die Symptome der Kranken: hohes Fieber bis 41 Grad und schwerstes Krankheitsgefühl mit unerträglichen Kopfschmerzen und qualvoller Atemnot. Zur Influenza kamen weitere Krankheiten wie Lungen- oder Hirnhautentzündung. Dabei starben ungewöhnlich oft vermeintlich robuste Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Ärzte und Krankenschwestern waren machtlos. Es gab kaum hygienische Vorsichtsmaßnahmen, keine Infusionen – und schon gar keine Mittel gegen Viren.
Aktuellen Schätzungen zufolge raffte die »Spanische Grippe« rund 50 Millionen Menschen dahin. Sie hinterließ wahrscheinlich mehr Tote als jede andere Krankheit davor und danach in der Geschichte. Allein im damaligen Deutschen Reich soll sie rund 426.000 Menschen das Leben gekostet haben. Die meisten Toten soll es in Indien gegeben haben: 14 Millionen, was durch eine Volkszählung 1921 belegt worden sein soll.
mr