Biographie eines Kämpfers gegen Sprachlosigkeit und Gewalt
Ohne Sprachkenntnisse, mit wenig Geld aber großen Träumen kam Kazim Erdoğan 1974 aus der Türkei in Deutschland an. Wie es ihm gelang, in Deutschland anzukommen, einen Studienplatz zu bekommen, Deutsch zu lernen, Psychologie und Soziologie zu studieren und zu einem der führenden Integrationsexperten in Deutschland und Träger des Bundesverdienstkreuzes zu werden, das berichtet die Journalistin Sonja Hartwig in ihrem Buch »Kazim, wie schaffen wir das?«. Am 25. September stellte sie es gemeinsam mit Kazim Erdoğan in der Neuköllner Oper vor.
Mehrere Jahre hat sie Erdoğan begleitet und bei seiner Arbeit beobachtet. Sie zeichnet ein liebevolles Porträt des Gründers der ersten Selbsthilfegruppe für türkische Männer, eines von vielen Projekten des Vereins »Aufbruch Neukölln«, dessen Vorsitzender er ist. »Reden wir miteinander, nicht übereinander, nur so können wir wechselseitige Ängste und Vorteile abbauen«, ist sein Credo.
Auch die Männer aus seiner Gruppe kommen in diesem Buch zu Wort. Aus ganz persönlicher Sicht berichten sie, was es mit ihnen macht, wenn sie immer als »Ausländer« betrachtet werden, warum sie sich oft nicht verstanden fühlen, meinen beleidigt und benachteiligt zu werden und warum sich jemand stärker zur Türkei hingezogen fühlen kann, obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. In diesen Gesprächen wird deutlich, wie verletzend unbedachte, gut gemeinte Äußerungen aus der Mehrheitsgesellschaft wirken können. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, die Menschen hinter den Problemen kennenzulernen.
Angst vor dem Fremden, Politik an den Menschen vorbei, Kommunikations- und Sprachlosigkeit, und wie trotzdem das Zusammenleben in unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft funktionieren kann, darüber sprachen Hartwig und Erdoğan im Anschluss an die Lesung mit Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey und Kemal Hür vom Deutschlandfunk.
Noch ganz unter dem Eindruck der Wahl sagte Giffey, es sei wichtig, auch mit den Menschen zu reden, die eine andere Meinung vertreten. Auch wenn es den meisten Menschen in Deutschland gut gehe, müssten die Ängste derer ernst genommen werden, die fürchten, dass könnte sich einmal ändern wenn andere kommen, die ebenfalls Ansprüche haben.
Dem konnte Erdoğan nur zustimmen. Er rief dazu auf, jetzt besonders mit denen zu reden, die sich von den etablierten Parteien abgewandt haben. Der Presse riet er, das Augenmerk nicht so stark auf diejenigen zu richten, die sich der Integration verweigern. »Warum lädt das Fernsehen eine verschleierte Schweizerin ein, die könnten doch mit mir sprechen«, meinte er.
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Kazim, wie schaffen wir das?: Kazim Erdoğan und seine türkische Männergruppe – vom Zusammenleben in Deutschland
von Sonja Hartwig
Deutsche Verlags-Anstalt
18 Euro