Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 130 – Donnerstag, 7. Juni 1917
Alle Spargelschalen sollten als Wintersuppengewürze sorgsam gesammelt werden. Nach dem Schälen flüchtig gewaschen, breitet man sie auf einem Tuche aus, das man am besten wie eine Hängematte auf die Beine eines umgedrehten Stuhles spannt. Völlig getrocknet, zerschneidet man sie mit der Schere in recht kleine Stückchen, damit sie unter das getrocknete Suppengemüse gemischt werden können. Sie verleihen jeder Suppe einen feinen diskreten Spargelgeschmack.

Nr. 135 – Mittwoch, 13. Juni 1917
Frauen für die Munitionsfabriken gesucht! Die Kriegsamtstelle in den Marken braucht im Augenblick eine große Vermehrung der Frauen in den Munitionsfabriken. Es ist vaterländische Pflicht jeder unbeschäftigten Frau, sich für diese Hilfsarbeit zur Verfügung zu stellen. Auch die Frauen des Mittelstandes, die bisher nicht erwerbstätig waren, können für leichtere Arbeiten in Fabriken verwendet werden. Frauen, die in der Landarbeit beschäftigt sind oder beschäftigt waren, dürfen sich nur um ländliche Arbeit bewerben. Das Vaterland erwartet, daß jede Frau freiwillig ihre Pflicht tut!

Nr. 147 – Mittwoch, 27. Juni 1917
Der Siebenschläfertag, der auf den heutigen Mittwoch, 27. Juni, fällt, ist in Nord= und Mitteldeutschland der bekannteste der sogenannten Lostage, d. h. der Tage, an denen sich auf längere Zeit das Los der Witterung entscheiden soll. Der Volksglaube und die mit ihm verknüpften Bauernregeln, daß, wenn es am 27. Juni regnet, es auch während der folgenden sieben Wochen täglich etwas regnet, sind weit verbreitet, besitzen aber keinerlei wissenschaftlichen Wert und werden insbesondere von den Meteorologen scharf bekämpft. Hoffentlich wechseln Regen und Sonnenschein in dem Maße ab, wie es zu einer guten Ernte erforderlich ist.

Nr. 149 – Freitag, 29. Juni 1917

Hundert Jahre Sparkasse.                                                                                                                                                      Foto: mr

Der Neubau der städtischen Sparkasse Neukölln an der Ecke der Richard= und Ganghoferstraße ist trotz der großen Schwierigkeiten, die sich für die Weiterführung des Baues aus den Kriegsverhältnissen ergeben haben, nunmehr soweit gefördert worden, daß am 1. Juli d. J. die im Gebäude vorgesehenen Büroräume, die ihren Eingang von der Ganghoferstraße aus erhalten sollen, der Benutzung zugänglich gemacht werden können. Es werden in dem neuen Gebäude die Rechtsauskunftstelle, ein Standesamt, die Büros für Kriegsfürsorge sowie das Gewerbebüro nebst Gewerbe= und Kaufmannsgericht Unterkunft finden. An der Kassenhalle selbst schreiten die Arbeiten vorwärts. Mit der Ausführung der Mosaikarbeiten, welche zur Bekleidung der Pfeiler und Kassentische dienen sollen, wird demnächst begonnen werden.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1917 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Sieben Wochen Regen oder Sonnenschein

Entscheidung am Siebenschläfertag

Der Siebenschläfertag ist ein wichtiges Datum im Kalender der Bauern. Er gehört wie die Eisheiligen zu den sogenannten Lostagen, feststehende Tage im Heiligenkalender des Kirchenjahres, die nach altem Volksglauben Vorhersagen über die Wetterverhältnisse der folgenden Wochen erlauben. In dem Wort Lostag blieb die Bedeutung von »Los« im Sinne von »Geschick« erhalten.
In der dem Siebenschläfertag zugeordneten Bauernregel heißt es: »Das Wetter am Siebenschläfertag, sieben Wochen bleiben mag«. Für die nachfolgenden sieben Wochen ist also mit vergleichbarem Wetter zu rechnen.
Der Siebenschläfer steht zwar am 27. Juni im Kalender, aber die Bauernregel bezieht sich heute eigentlich auf den 8. Juli. Grund ist die gregorianische Kalenderreform von 1582, bei der elf Tage gestrichen wurden und sich deshalb das Datum verschoben hat. Dabei kommt es nicht auf einen einzelnen, genauen Tag an. Entscheidend ist, wie sich die Wetterlage in Europa, die durch den Gegensatz von polarer Kaltluft und subtropischer Warmluft bestimmt ist, gegen Ende Juni oder Anfang Juli einpendelt.
Verläuft der Jetstream, ein starker Wind, der in über zehn Kilometern Höhe von West nach Ost weht, weit im Norden, überlässt er Mitteleuropa dem Einfluss der beliebten Azorenhochs. Verläuft er aber ein paar Hundert Kilometer südlicher, haben die Islandtiefs freie Bahn. Ende Juni, spätestens Anfang Juli hat sich der Luftstrom üblicherweise entschieden, auf welchen Breitengraden er daherweht.
Allerdings wird die Siebenschläferregel umso unzuverlässiger, je weiter man sich den Küsten im Norden nähert, an denen die Meere ihren eigenen Wettergesetzen folgen.
Seinen Namen hat der Siebenschläfertag nicht vom Siebenschläfer, dem possierlichen kleinen Nagetier, das so heißt, weil es sieben Monate lang Winterschlaf hält. Vielmehr sind die »sieben Schläfer von Ephesus« für die Namensgebung des Tages verantwortlich.
Die Legende erzählt, dass sieben Brüder, die sich zur Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Decius (Regierungszeit von 249-251) als Anhänger des verfemten neuen Glaubens bekannten, vor ihren Häschern flohen und sich in einer Höhle bei Ephesus in der heutigen Türkei versteckten. Sie wurden dennoch entdeckt und lebendig eingemauert. Von Gott bewacht, fielen sie in einen tiefen, 195 Jahre dauernden Schlaf. Als die Höhle am 27. Juni 446 entdeckt und geöffnet wurde, erwachten sie wieder und bezeugten den Glauben an die Auferstehung. Kurze Zeit später verstarben sie. Seitdem gelten sie als Heilige.

mr