Rollberger Geschichten

Wie Mandy zu einem Hund kam

mandy-eiszapfenAn allen Regenrinnen, über und unter allen Fenstern hingen riesige Eiszapfen. Seit einer Woche wohnte ich in Neukölln in einer neuen Wohnung zur Zwischenmiete. Es hatte geklopft, und vor der Tür standen eine Frau und ein Mann, beide etwa Mitte dreißig. Sie trug einen grünen Freizeitanzug, rote Turnschuhe, ein weißes, mit Silberfäden durchwirktes Halstuch und goldenen Nagellack. Er trug Jeans, Pulli, Jacke, Turnschuhe – alles nagelneu – und einen in den Konturen haargenau ausrasierten Dreitagebart. Es war meine erste Begegnung mit Mandy und Khalid. mandy
Im Arm hielt sie einen winzigen Hundewelpen, der verschlafen mit seinen großen Augen blinzelte, gähnte und dabei leise knurrte. Sie fragten nach einem Schlafplatz.
Mandy begann zu erzählen. Vor einer Woche habe sie auf der Fußmatte den in ein Tuch gewickelten Jan Klode gefunden. Nur sein kleines, rundes Gesicht mit der schwarzen, glänzenden Nase und den großen, weichen Ohren habe herausgeschaut. Neun Tage vorher aber habe sie einen Traum gehabt, in dem ihr Khalids Karate-Idol erschienen sei: »Ich habe einen Sohn, den du erkennen und nach mir benennen sollst. Du wirst die Mutter sein – als Jungfrau.« »Ick musste so lachen – Jungfrau! – da bin ick gleich von uffjewacht.« Aber als sie Kahlid dann von ihrem Traum erzählt habe, sei er doch so beeindruckt gewesen, dass sie den Hund tatsächlich Jan Klode nannten. Das Problem sei, Khalids Nazi-Nachbar-Hausmeister hasse außer Fremden nicht nur Kinder, sondern auch Hunde. Jan Klode aber habe gestern fünfmal in den Hausflur gepinkelt. Heute sei an Khalids Tür das Schloss ausgewechselt gewesen, als sie vom Einkauf zurückkamen. Und nun sei in Mandys Wohnung auch noch die Heizung ausgefallen. Was sollten sie machen? – Was sollte ich machen? Mandy klimperte mit ihren langen, dick getuschten Wimpern, Khalid versprach, arabisch zu kochen, und Jan Klode blinzelte, gähnte und knurrte dabei leise. Ich bot dem Paar mein Bett an, für Jan Klode nahmen sie ein Puppenbett aus Holz. Dann ging ich meine beiden liebsten Neuköllner Freunde besuchen.
»Du kennst sie doch gar nicht. Sie werden dir die Wohnung leer räumen!« mahnte Metin. »Ich will den süßen Hund sehen. Kann er die Hinterläufe schon nach hinten klappen?« sagte Hauke. Am nächsten Tag kauften wir in einem Treptower Zoohandel Geschenke für Jan Klode.

mandy_schmuckHauke entdeckte ein Hundeparfüm, Metin fand ein Duftspray gegen Uringeruch und ich nahm ein Halsband mit goldfarbenen Nieten mit. Inzwischen hatte es stark geschneit und die Straßen waren still. Nichts fuhr noch. Die U-Bahn kam wegen eines Polizeieinsatzes nicht, und so suchten wir den Rückweg mit Google Maps. In diesem Jahr hatten sie zum Jahresende den Navigationspfeil durch einen Stern ersetzt. Als wir ankamen, war Mandy entzückt, Hauke hingerissen, Khalid trainieren und Metin rauchte auf dem Balkon eine Zigarette. Sieben Wochen wohnten Mandy, Khalid und Jan Klode in meiner Zwischenmietwohnung, denn sie hatten sonst keine Herberge. Alle Freunde aber, Simon ebenso wie Hanna, erkannten in Mandy und Khalid die liebenswertesten Kampfhund­eltern ganz Neuköllns und in ihm, Jan Klode, sobald sie ihn sahen, das besondere Kind.

fs