Mandy ist glücklich
Mitten zwischen den langen, viel zu vielen sonnenlosen und dunklen Tagen voller Nebel, Regen und nicht mehr zu leugnender Kälte gab es diesen einen angenehm milden Herbstabend. Mandy hatte mich eingeladen. Wir saßen ein letztes Mal vor dem Winter auf ihrem Balkon, zwischen uns auf dem Tisch zwei volle Gläser Futschi. Sie blies über ihre frisch lackierten Fingernägel, ließ sich im Liegestuhl nach hinten sinken und schloss die Augen. Überrascht bemerkte ich, dass ihr rosa Nagellack zum Rot ihres neuen Freizeitanzugs passte.
Im Park vor uns stritt sich lautstark und lallend ein Paar, das wir von unserem Platz aus nicht sehen konnten. »Du hast schon wieder von meinem Geld Bier gekauft!« »Du hast doch schon seit einer Woche kein Geld mehr!« Ein Krankenwagen fuhr mit Blaulicht direkt am Haus vorbei, ihm folgte ein Polizeiauto, ein Feuerwehrwagen und noch ein Polizeiauto – alle mit ohrenbetäubend lauter, sich in den Ohren überschlagend schriller Sirene. Als das Heulen leiser wurde, hörten wir aus dem Park nichts mehr, doch vom Balkon unter uns das leise Blubbern einer Wasserpfeife und dann ein lang anhaltendes, keuchendes Husten. Es roch stark nach hochgezüchtetem Gras aus Treibhauskellern, und Mandys Nasenflügel zitterten leicht.
Auf dem Gehsteig begrüßten sich drei Jungs mit klatschendem Handschlag: »Ey, Habībī, isch komm Hermannplatz.« »Was hast Du g’macht, Bruder?« »Digger, was geht?« Unter uns klingelten mindestens drei Handys gleichzeitig los; die jugendlichen Söhne der türkischen Nachbarn und ihre Freunde konnten für mehrere Minuten nicht aufhören zu lachen. Die italienische Mutter aus der Nachbarwohnung schimpfte währenddessen kreischend mit ihrem kleinen, laut weinenden Sohn. »Besoffenes Schwein!« »Dumme Schlampe!« fing das Paar aus dem Park wieder an. Unter uns Blubbern und Husten; auf dem Gehsteig »Salām‘ alaikum.« »Alaikum salām!«; vom Balkon der Airbnbler über uns das Ploppen mehrerer Kronkorken und »Berlin is so cool, you know, sooo cool!« Jetzt brüllte die kleine Tochter der italienischen Nachbarin laut los; in der Ferne neue näherkommende Sirenen; auf dem Spielplatz fauchendes Bellen von zwei sich dort balgenden Füchsen und Jan Klode, der bisher still unter Mandys Liegestuhl gelegen hatte, richtete sich mit einem Ruck auf und knurrte.
In diesem Moment fiel mir auf, dass Mandys Gesicht im Dunkeln hell schimmerte: seine klaren Züge entspannt und ruhig, die mit Kajal umrandeten Lider weiter geschlossen, um ihre fein geschwungenen Mundwinkel die Andeutung eines Lächelns – Mandy war offensichtlich glücklich.
fs