Die Schönheit des Schrecklichen

Die »Neuköllner Oper« zeigt Puccinis Tosca als Stück von politischer Aktualität

Ob nun die Wirklichkeit ins Theater oder das Theater in die Wirklichkeit gebracht werden sollte, Regisseur Michael Höppner hat sich bei seiner Tosca-Inszenierung einiges vorgenommen. Er verwebt Puccinis Werk mit den gewaltsamen Polizeieinsätzen um den G8-Gipfel 2001 in Genua zu einer politischen Oper, die vom Kampf zwischen willkürlicher Staatsgewalt und dem Widerstand einfacher Leute erzählt.

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Willkür der Staatsgewalt: Die Realität von Genua inszeniert als Oper.                                               Foto: pr

Den Spagat schafft er, indem er die Generalprobe des Stücks zeigt und so die Figur der jungen, übermotivierten Regisseurin alle wichtigen Details und Grausamkeiten um den G8-Gipfel plakativ und empört vortragen kann. Dazwischen dann Ausschnitte aus der Oper, dramatische Folterszenen, die im Gegensatz zu den faktenreichen und verkopften Monologen der Regisseurin melodramatisch wirken und beim politisch interessierten Publikum mehr emotionale Rührung hervorrufen, als dieses sich eingestehen möchte. Von dieser Schönheit des Schrecklichen peinlich berührt, denn Puccinis Tosca ist nicht ohne Grund auch als »Folteroper« bekannt, wird den Zuschauern die Polizeigewalt beim G8-Gipfel vor 15 Jahren in aller Realität vor Augen geführt: Der Cellist der Aufführung, Daniel Albrecht, war selbst dabei, als damals die italienische Polizei in eine von der Stadt bereitgestellte »sichere« Unterkunft für Demonstranten eindringt und blind auf in Schlafsäcken schlafende Menschen eindrischt. Der Berliner Student landet mit einer lebensgefährlichen Kopfverletzung im Krankenhaus, wo er erfährt, dass er in Untersuchungshaft sitzt. Er wird verdächtigt, einen Polizisten angegriffen zu haben. Erst Hans-Christian Ströbele (Die Grünen), der nach Genua reist, um die Demonstranten zu unterstützen, kann erwirken, dass Artls Mutter zu ihm ins Zimmer darf.
Was vor 15 Jahren in Genua passierte, kann als größte Menschenrechtsverletzung in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs gesehen werden. Die Zivilprozesse der Opfer sind immer noch nicht abgeschlossen. Allein das spricht für die aktuelle Relevanz des Themas. Höppner und die »Neuköllner Oper« suchen darüber hinaus aber auch nach der Möglichkeit des Widerstands im Musiktheater, nach einer Ästhetik des Widerstands. Arlt hingegen kann in Tosca G8 mit seinen traumatischen Erlebnissen abschließen: »Die Bilder in meinem Kopf, umschrieben mit Puccinis Musik, das ist total abgefahren«.
Tosca G8 ist noch am 3./6./8./9. November in der »Neuköllner Oper« zu sehen.jt