»OLYMPIA« – eine Zeitwahrnehmung

Echtzeitprojektion auf 1.000 Jahre im Kesselhaus

Vor genau einem Jahr wurde das Kesselhaus, der erste Ausstellungsraum des »KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst« mit der Installation »Kitfox Experimental« von Roman Signer eröffnet. Nun folgt mit der Real-Time-Videoprojektion »OLYMPIA« des belgischen Künstlers David Claerbout der zweite Streich. Die Videoarbeiten Claerbouts zeichnen sich durch eine suggestive Langsamkeit aus. Dadurch wird die Zeit für den Betrachter auf beinahe körperliche Weise erlebbar.

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Olympiastadion mit realem Wetter.                                                                                                                                  Foto: jr

Mit seiner neuesten Arbeit zielt der Künstler nun auf eine Dimension ab, die das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt: Die Echtzeit-Projektion ist auf 1.000 Jahre angelegt und entzieht sich damit radikal unserer realen Erfahrung. Claerbout nimmt zwar auch Bezug auf das »Tausendjährige Reich«, einen von den Nationalsozialisten geprägten Begriff. Gleichzeitig ist das Projekt als eine Arbeit über Wahrnehmung und Zeit zu verstehen. In der Ausstellung ist auf einer riesigen Leinwand eine quälend langsame Kamerafahrt um das Berliner Olympia­stadion zu sehen. Eine Stunde benötigt die Kamera, um das Stadion einmal zu umrunden, schwenkt von Zeit zu Zeit auf die Umgebung und gibt einmal den Blick ins Innere des Stadions auf die Tribünen frei. Der Betrachter sieht jedoch nicht einen »realen« Film, sondern eine aufwändig inszenierte und errechnete Echtzeit-Simulation, die den Zerfall des Bauwerks und die langsame Veränderung der Natur in der Zeit zeigt. Wer also lange genug vor der Leinwand verharrt, kann dem Gras buchstäblich beim Wachsen zusehen.
Claerbout lässt in seine digitale Simulation des Olympia-Stadions permanent Echtzeit-Wetterdaten einfließen – das reale Wetter beeinflusst das digitale Stadion. Jedes auf die Leinwand projizierte Bild wird dadurch einmalig und verschwindet im selben Augenblick unwiederbringlich. Um verschiedene Jahres- und Tageszeiten und unterschiedliche Wetterverhältnisse real erlebbar werden zu lassen, wird »OLYMPIA« im KINDL rund neun Monate lang bei freiem Eintritt zu sehen sein – und soll zu mehrmaligen Besuchen anregen.

rb/jr
KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst, Im Sudhaus 2
David Claerbout: Olympia (The Real-Time Disintegration into Ruins of the Berlin Olympic Stadium over the Course of a Thousand Years)
11. September 2016 – 28. Mai 2017, Mi – So 12 – 18 Uhr, der Eintritt ist frei