Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

NK_Tagblatt-Kopf

Nr. 106, Sonnabend,  6. Mai 1916
Schonet unsere Waldungen! Nicht oft und dringend genug kann diese Bitte wiederholt werden. Die Oberförstereien richten auch in diesem Jahre wieder an die Ausflügler nach dem Grunewald durch Anschläge an den Eingängen zu den Forstgebieten die dringende Bitte, die Verbote des Wegwerfens von Papier, Flaschen usw., des Rauchens, des Betretens von Kulturen, Böschungen und Wiesen, der Beschädigung von Alleebäumen, Sträuchern, Jungwüchsen und Holzstapeln, des Reitens und Fahrens auf Touristensteigen zu beachten. Nur unter der einsichtsvollen Mithilfe aller wird es möglich sein, in geringerem Maße von der Zuhilfenahme polizeilichen Schutzes Gebrauch zu machen, und dem Walde Ruhe, Frieden, Schutz und dasjenige Aussehen zu sichern, das ein jeder Naturfreund zu schätzen weiß.

Nr. 113, Sonntag, 14. Mai 1916
Die pünktlichen Eisheiligen. Nachdem das für die Jahreszeit ungemein warme und sommerliche Wetter bis zum Beginn der letzten Woche gedauert hatte, trat in ganz Mitteleuropa ein scharfer Rückschlag ein, in dessen Verlauf die Witterung sehr kühl und unfreundlich wurde. Bemerkenswert ist, daß sich dieser Rückschlag diesmal pünktlich mit dem Beginn der drei kalten Kalendermänner einstellte, die nach altem Volksglauben Maifröste im Gefolge haben sollen. Ein solches zufälliges Zusammentreffen bekräftigt naturgemäß einen solchen Volksglauben wieder auf Jahre hinaus, obwohl wissenschaftlich längst festgestellt ist, daß solche Temperaturrückfälle jederzeit erwartet werden können und nach genauen Untersuchungen während der Tage vom 11. bis 13. Mai keineswegs häufiger sind als vor oder nachher.

Nr. 121 – Mittwoch, 24. Mai 1916

Melanchthon1
Die Philipp-Melanchthon-Kirche wird 100.                                                                                                             Foto:mr

Einweihung der Phi­lipp=Melanchthon =Kirche. Die feierliche Weihe des kurz vor dem Kriege in Angriff genommenen Baues der Philipp=Melanch­thon=Kirche nebst Pfarr= und Gemeindehaus Kranoldstraße 17, Herthastr. 9=10, erfolgte am Dienstag vormittag 11 Uhr. Entsprechend dem Ernst der Zeit trug die Feier der Gemeinde einen ernsten und schlichten Charakter. Dennoch hatten die Anwohner der Kranold= und Herthastraße es sich nicht nehmen lassen, ihre Häuser reich mit Flaggen auszuschmücken. Infolge der Kriegslage war es unserem Königshause nicht möglich, ein hohes Mitglied des Hohenzollernhauses zu der Feier zu entsenden, was sonst bei Gelegenheit früherer Kirchenbauten geschehen war. Indessen hatte Ihre Majestät die Kaiserin in herzlicher Teilnahme eine kostbare Altarbibel für die neue Kirche gestiftet, welche auf dem Altar einen Ehrenplatz gefunden hat. In diese Altarbibel hatte Ihre Majestät eigenhändig die Worte des Apostel Paulus eingetragen: Römer 11, V. 36: »Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.«

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1916 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Gefahr für die Gemüsebeete

Die Eisheiligen als Kalenderdaten für die Landwirtschaft

Die Eisheiligen gehen auf jahrhundertealte Wetterbeobachtungen zurück, nach denen es Mitte Mai häufig zu Kälteeinbrüchen kommt. Da diese Wetterlage oft mit den Gedenktagen der Heiligen Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophia vom 11. bis 15. Mai zusammenfällt, wurden die Gedächtnistage dieser Märtyrer und Bischöfe aus dem 4. und 5. Jahrhundert zu wichtigen Kalendermarken für Aussaat und Pflanzungen.
In früheren Zeiten waren diese Tage gefürchtet. Gärtner und Bauern, die sich verleiten ließen, ihre Saat vor den Eisheiligen auszubringen, riskierten nicht selten Frostschäden und erlitten herbe Verluste. Hilfsmittel, wie Schutzfolien und Gewächshäuser, standen nicht zur Verfügung. Gesundheit und Leben hingen am Erfolg lokaler Ernteerträge. Selbst der kleine Garten war für die Menschen sehr oft überlebenswichtig.
Friedrich der Große hatte sich einmal über alle Regeln hinweggesetzt und seine Gärtner angewiesen, seine frostempfindlichen Pflanzen während der Eisheiligen über Nacht im Freien zu lassen. Er büßte all seine wertvollen Orangenbäume ein. »Seine drei Gestrengen lassen wirklich nicht mit sich spaßen. Ich sehe wohl, dass ich vor diesen Kerls künftig mehr Respekt haben muss«, soll er zu seinem Gärtner gesagt haben.
Wetteraufzeichnungen zeigen allerdings, dass der Kälteeinbruch tatsächlich meist erst elf Tage später, also am 23. Mai erfolgt. Alte Beobachtungsregeln sagen daher, vor »Rückfällen der Kälte« könne man erst »nach Urban« am 25. Mai sicher sein. Diese Verschiebung lässt sich wiederum durch die gregorianische Kalenderreform erklären. Da sich das Kalenderjahr immer mehr gegenüber dem astronomischen Jahr verschoben hatte, ordnete Papst Gregor XIII. an, dass im Jahr 1582 zehn Tage ausgelassen wurden. Die Heiligengedenktage blieben die gleichen wie vorher, sie waren nun jedoch jahreszeitlich gesehen um zehn Tage nach vorn versetzt.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Kälteeinbrüche inzwischen immer seltener werden. Viele Experten führen das auch auf den Klimawandel zurück, denn mit der stetigen Erwärmung der globalen Atmosphäre fallen auch Kaltlufteinbrüche im Mai immer weniger frostig aus.

mr