Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 51 – Mittwoch, 1. März 1916
Ein für die Fleischversorgung wichtiges Ersatzmittel ist in letzter Zeit nach einem patentierten Verfahren an den Schlachthöfen unserer Großstädte hergestellt und zum Verkauf gebracht worden. Es wird De=De=Fleisch genannt und besteht zu zwei Dritteln aus getrocknetem und gewässertem Klippfisch und zu einem Drittel aus frischem Rindfleisch unter Verwendung geeigneter Gewürze. Der Preis für dieses Ersatzfleisch stellt sich verhältnismäßig billig, auf etwa eine Mark für das Pfund, Nach den bisherigen Erfahrungen bewährt sich dieses Fleisch sowohl im Geschmack als im Nährwert und wird sich in den Verbraucherkreisen allem Anscheine nach gut einführen. Auf diesem Wege wird sich eine erhebliche Streckung unserer Fleischvorräte ergeben und dem Fisch eine erhöhte Bedeutung für die Volksernährung verschaffen.
Nr. 53 – Freitag, 3. März 1916
Zur Förderung des Mädchenschwimmens in Neukölln sollen gemäß einem Beschlusse der Deputation für das Turn- und Badewesen, welche bekanntlich auf die Erlernung der Schwimmkunst seitens der weiblichen Bevölkerung stets besonderes Gewicht legt, vom 1. April d. J. Ab zunächst die Oberklassen der städtischen Lyzeen sowie die zweiten Klassen der Mädchen=Mittelschulen wöchentlich einmal als Ersatz für eine Turnstunde Schwimmunterricht im Stadtbade erhalten. Der Unterricht selbst wird von den im Stadtbade angestellten Schwimmlehrerinnen erteilt, während die Lehrerinnen lediglich die allgemeine Aufsicht über die Mädchen in der Halle zu übernehmen haben.
Nr. 64 – Donnerstag, 16. März 1916
Eine Straßenräuberin, die es auf kleinere Kinder, die zum Einkauf von Eßwaren ausgeschickt werden, besonders abgesehen zu haben scheint, treibt hier ihr Unwesen. Vor dem Hause Kaiser=Friedrich=Straße 197 (Sonnenallee, Anm. d. Red.) riß eine unbekannte Frauensperson nachmittags dem 6jährigen Herbert K. aus der Kaiser=Friedrich=Straße 178 die Markttasche aus der Hand und entfernte sich schleunigst mit ihrem Raub. Die Tasche enthielt 1 Pfund Zucker, ein halbes Brot und eine Flasche mit Essig. – Allem Anschein nach dieselbe Täterin entriß abends dem siebenjährigen Alfred L. aus der Wildenbruchstraße 4, Ecke Wildenbruch= und Laubestraße, ein Brot, welches der Kleine unter dem Arm trug. Die Diebin, mittelgroß, trug in beiden Fällen einen gelben Mantel und Lackschuhe.
Nr. 67 – Sonntag, 19. März 1916
Das Ende der Zahnschmerzen. Auf ein außerordentlich einfaches und in verschiedenen Fällen wirksames Mittel, einen Zahnschmerz ohne eine Behandlung, die die Grundursache des Schmerzes beseitigt, für längere Zeit auszuhalten, macht Bataillonsarzt Dr. Du Mont in dem nächsten Heft der »Deutschen Medizinischen Wochenschrift« aufmerksam. Ein glücklicher Zufall führte den Arzt auf diese selbsterprobte Behandlungsweise. Bei äußerst heftigen Zahnschmerzen, die weder durch eine Zahnbeseitigung, noch durch Jodeinpinselungen nachlassen wollten, zog Dr. Du Mont den Duft kölnischen Wassers ein, wobei einige Tropfen der Flüssigkeit bis an die Nasenschleimhaut emporgerissen wurden. Sofort waren die Zahnschmerzen dauernd verschwunden. Eine große Reihe in der Praxis ausgeführter Versuche, die eine Einwirkung von Schwefeläther auf die Schleimhaut herbeiführten, hatten jedesmal den gleichen Erfolg. Es wurden, um möglichst einfach die Tropfen an die Nasenschleimhaut gelangen zu lassen, erbsengroße Wattepfropfen mit Aether durchtränkt, lose je nach dem Sitz des Zahnschmerzes in das linke oder rechte Nasenloch getan, worauf der Patient sich möglichst weit zurückneigt und durch einen leichten Druck auf die Nase einige Tropfen auspreißt. Der Erfolg stellte sich bei erkrankten Zähnen, bei Wurzelhautentzündungen und rheumatischen Zahnschmerzen unmittelbar ein.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1916 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Revolution in der Duftwelt
Der Siegeszug des »Eau de Cologne«
»Ein Duft, der an einen italienischen Frühlingsmorgen erinnert, an Bergnarzissen und Orangenblüten kurz nach dem Regen.« So beschrieb der Italiener Giovanni Maria Farina sein Duftwasser, das er 1709 erfand und zu Ehren der Stadt, die er sich als neue Heimat ausgesucht hatte, »Eau de Cologne« nannte. Zur Herstellung nutzte er ein neuartiges Verfahren: Er destillierte reinen Alkohol, in dem er dann verschiedene Duftstoffe löste – etwa Limette, Zitrone, Bergamotte, Pampelmuse, Cedrat und Orange.
Der frische und belebende Duft unterschied sich grundlegend von den bis dahin verwendeten schweren Düften wie Moschus, Zimt und Sandelholz. Die sollten die Körpergerüche übertünchen, denn Waschen war verpönt, weil man glaubte, dass Wasser Krankheiten verbreite.
Farinas Kreation wurde nicht nur für die äußerliche Anwendung verkauft, sondern als »aqua mirabilis«, zu deutsch Wunderwasser, auch als Heilmittel gegen alle möglichen Krankheiten eingesetzt. Bei Schlaganfällen, Koliken, Kopf- oder Zahnschmerzen, ja sogar bei schwierigen Geburten sollte »Eau de Cologne« wundersame Wirkung zeigen.
Schnell wurde das Duftwasser zu einem kommerziellen Erfolg und so ist es nicht verwunderlich, dass bald mehrere und sehr ähnliche »Eau de Cologne« entstanden, einer der ersten Fälle von Produktpiraterie.
Einer dieser Nachahmer war Wilhelm Mülhens, der sein 1792 auf den Markt gekommenes Duftwasser nach langem Rechtsstreit »Eau de Cologne 4711« nach der Hausnummer seiner Firma nannte. Heute ist »4711« zum Inbegriff für Original Kölnisch Wasser geworden.
Rezepte und Herstellung dieser Heil- oder Wunderwasser wurden streng geheim gehalten. Ab 1810 mussten durch ein Dekret Napoleon Bonapartes, Rezepturen für als Heilmittel angepriesene Produkte veröffentlicht werden, um sie der ärmeren Bevölkerung zugänglich zu machen. Weder Farina noch Mühlens wollten jedoch das Geheimnis ihres »Eau de Cologne« preisgeben und griffen zu einer List: Sie verkauften ihr Wasser nicht mehr als Heilmittel sondern als Duftwasser. So konnten sie ihr Rezept bis heute geheim halten.
Inzwischen ist der Begriff »Eau de Cologne« zu einer allgemeinen Bezeichnung für einen leichten Duft geworden.
mr