Auf Lakritzentzug
Für mein Leben gerne esse ich Lakritz. Salzig muss es sein und von guter Qualität. Das hebt die Lebensfreude, macht gute Laune. Nach der Arbeit ist es für mich das Signal, dass nun der andere Lebensabschnitt beginnt, es ist genau der richtige Einstieg. Ich esse Lakritz nur dann, wenn eine gravierende Änderung am Tag beginnt.
In letzter Zeit wurde es aber ein bisschen knapp mit dem Lakritz. Ein Depot nach dem anderen hatte ich geleert. Der Schreibtisch mit der Lakritzschachtel war geleert, der Vorrat im Küchenschrank aufgebraucht, mein Geheimdepot am Arbeitsplatz hatte sich in Luft aufgelöst. Selbst die eiserne Reserve im Kühlschrank zu Hause und in der Redaktion war weg. Aber eine kleine Reserve war ja noch in der Handtasche. Es waren exakt drei Lakritzstücke, von denen ich eines aß, bevor ich zur Arbeit fuhr. Es war also noch ausreichend für ein gutes Gelingen des Tages, denn ein Lakritz erhält meine Kollegin zum Feierabend, sie hat vermutlich eine ähnliche Betrachtungsweise.
Als nun der Feierabend nahte und ich den Betrieb verlassen wollte, suchte ich nach dem Lakritz für die Kollegin und mich für den neuen Tagesabschnitt. Es war furchtbar. Der Lakritz war nicht da. Über Sucht möchte ich mir an dieser Stelle keine Gedanken machen.
Ich gestehe, dass ich ziemlich bedröppelt dastand und suchte und suchte, der Lakritz war nicht da. Es war so ein Gefühl, als würde ich das Leben nicht mehr auf die Reihe bringen.
Zuhause angekommen, lag der Lakritz auf dem Küchentisch, genau die zwei Stücke, die ich doch so notwendig gebraucht hätte. Ich hatte sie also nur morgens vergessen. Aber immerhin, der Tag war gerettet und ich aß alles auf.
Der nächste Tag war Sonnabend. Die Zeitungsproduktion fand an diesem Tag statt. Meine Geldbörse war fast leer und ich musste noch Süßkram für Halloween kaufen, man weiß ja nie, was da auf einen zukommt.
Gut, ich war pleite. Ich dachte dann, dass es ja auch mal ohne gehen muss. Und ohne, dass ich mit irgendjemandem über meine Not geredet hätte -tut man ja auch nicht- lag auf einmal ein Tütchen mit dem besten und meiner Lieblingslakritz von dem besten Lakritzhändler aus Berlin auf meinem Schreibtisch.
Die Freude war groß und hält an und ist richtig salzig gut.