Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 232 – Sonntag, 3. Oktober 1915
Ein tiefbedauerlicher Doppelselbstmord erfolgte am Freitag in der Fuldastraße 33. Hier wurden gegen 12 Uhr mittags der 30jährige Schlosser Richard Ehrenfeld sowie seine 25jährige Ehefrau Ella, geb. Westphal, in dem Schlafzimmer ihrer gemeinschaftlichen Wohnung im Bett von einem Kollegen Otto B. mittels Leuchtgas vergiftet, tot aufgefunden. E., der am 1. Oktober d. J. zum Militärdienst einberufen war, hatte am Donnerstag einen Brief an B. geschrieben, worin er diesem mitteilt, daß er sich mit seiner Ehefrau das Leben nehmen wolle. B. ließ darauf in Gegenwart des Hauseigentümers die Wohnungstür öffnen und fand die ihm im Briefe gemachten Angaben leider bestätigt. Wie festgestellt, hatte E. in dem Schlafzimmer die Hängelampe abgeschraubt und so das Gas ausströmen lassen. Da bei beiden die Leichenstarre bereits eingetreten war, so wurde von der Hinzuziehung eines Arztes Abstand genommen. Das Motiv der unglückseligen Tat dürfte auf die bevorstehende Trennung der beiden Eheleute durch die Einberufung des Mannes, die in guten Verhältnissen und glücklicher Ehe lebten, zurückzuführen sein. Die Leichen wurden beschlagnahmt und in der Wohnung belassen.
Nr. 241 – Donnerstag, 14. Oktober 1915
Die maßlose Butterteuerung führte am Dienstag abend in einem Buttergeschäft in der Hermannstraße zu einer erregten Szene. Als eine Hausfrau bei einem Einkauf in dem betreffenden Geschäft hörte, daß der Preis der Butter schon wieder gestiegen sei und darüber bittere Klagen führte, gab eine Verkäuferin ihr eine sehr schnippische Antwort. Hierüber geriet die Kundin dermaßen in Wut, daß sie über die Verkäuferin herfiel und diese verprügelte. Auch andere Frauen, die im Laden anwesend waren und sich über die ungehörige Antwort der Verkäuferin ärgerten, beteiligten sich an dem Lynchakt. Die erhaltene Tracht Prügel dürfte für die Verkäuferin in Zukunft eine heilsame Lehre zur Zähmung ihrer Zunge sein.
Nr. 244 – Sonntag, 17. Oktober 1915
Vandalenhände haben von sechs an dem Brückengeländer an der Kaiser=Friedrich=Straße befindlichen Figuren aus Kunststein die Köpfe in mutwilliger Weise abgeschlagen. Leider hat man bislang über die rohen Täter nichts ermitteln können.
Nr. 248 – Freitag, 22. Oktober 1915
Der neue Bebauungsplan für das Neuköllner Südostgelände ist jetzt, nachdem sämtliche gegen ihn erhobenen Einwendungen zurückgezogen sind, förmlich festgesetzt worden; er liegt zurzeit im Rathause zur Einsicht aus. Der Bebauungsplan umfaßt das an Treptow=Baumschulenweg grenzende umfangreiche Gelände, das von der Köllnischen Allee, dem Dammweg und dem alten Heidekampgraben umschlossen und von der verlängerten Kaiser=Friedrich=Straße durchschnitten wird, es lagert sich um den seiner Vollendung entgegengehenden Vorortbahnhof Köllnische Heide. Die Verlängerung der Kaiser=Friedrich=Straße bildet eine große Promenadenstraße, die den genannten Bahnhof mit dem Treptower Ortsteil Baumschulenweg verbindet, wo sie in den Schnittpunkt der Forsthausallee mit der Baumschulenstraße einmündet, und Breiten von zunächst 45 Meter, dann von 40 Meter und schließlich am Grenzgelände von 35 Meter besitzt. Oestlich von dieser Hauptverkehrsader und südlich vom Bahnhof liegt eine etwa 13 Morgen große Parkanlage, die bereits zum Teil fertiggestellt ist und bei einer Ausdehnung von 245 Metern in der Länge und von 132 Metern in der Breite sowohl gärtnerisch wie architektonisch in hervorragend künstlerischer Form ausgestaltet wird, auch später Wasserkünste aufweisen soll; zwölf weitere Platzanlagen sind geschickt über das ganze Gelände verteilt, in dem außer der Errichtung einer Kirche der Bau einer Lehranstalt und eines Verwaltungsgebäudes vorgesehen ist. Die Köllnische Allee verfügt über Breiten von 40 und 36 Metern; die kleinen Nebenstraßen bilden gleichfalls Promenadenwege, die sich dem Bebauungsplan des benachbarten Treptower Geländes organisch anschließen. Das Gelände ist für ein vornehmes Villenviertel bestimmt.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1915 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Neuköllner Märchen
Der »Von-der-Schulenburg-Park« wird Mittelpunkt eines neuen Stadtteils
Bereits 1910 wurde ein Bebauungsplan für die Köllnische Heide erstellt, der auf die Bedürfnisse bürgerlicher Familien zugeschnitten war. Wegen des Krieges konnte aber erst 1919 mit dem Bau der Siedlung am Dammweg begonnen werden.
Der »Von-der-Schulenburg-Park« am südlichen Teil der Sonnenallee wurde aber bereits 1913 als Grünfläche ausgewiesen. Er verdankt seine Existenz dem sumpfigen und tiefer liegenden Gelände, das für eine Bebauung ungeeignet war.
Ab dem Jahre 1923 erfolgte die Gestaltung nach Plänen des Gartenbaudirektors Ottokar Wagler, der der Anlage sein heutiges Gesicht gab.
Im Mittelpunkt des Parks erstreckt sich ein großes, rechteckiges, von riesigen Platanenreihen gesäumtes Wasserbecken und der im Jugendstil erbaute Märchenbrunnen. Der wurde zwar bereits 1915 beim Bildhauer Ernst Moritz Geyger in Auftrag gegeben, sollte aber ursprünglich auf dem Hertzbergplatz oder dem Rathausvorplatz stehen. 1934 bekam er dann seinen Platz im Park.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Bronzefiguren eingeschmolzen. Erst 1970 konnte der Brunnen wieder restauriert und mit Muschelkalkplastiken der Künstlerin Katharina Szelinski-Singer vervollständigt werden. Die neuen Figuren stellen Szenen aus den Märchen »Brüderchen und Schwesterchen« und »Aschenputtel« dar.
mr