Schneckentempo in Zeitlupe

Über Milieuschutz, Verdrängung und Kopftücher

Koglin
Jürgen Koglin.                                               Foto:mr

Seit dreißig Jahren ist BVV-Vorsteher Jürgen Koglin Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). »Perlenhochzeit«, sagte seine Stellvertreterin Ute Lanske, als sie ihm zu Beginn der Sitzung am 10. Juni mit Blumen und einer Urkunde zu diesem Jubiläum gratulierte.
Anschließend antwortete Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey auf eine Anfrage der CDU, in der es um das Bezirkswappen ging, das Fritz Felgentreu in der Anzeige in der Kiez und Kneipe verwendet. Das Bezirksamt halte dies für einen Ausdruck der Verbundenheit mit Neukölln und werde daher nichts dagegen unternehmen. Ein beherrschendes Thema, dem sich die BVV anschließend zu widmen hatte, war die Abstimmung über den Einwohnerantrag zur Einführung von Milieuschutzgebieten im gesamten Norden Neuköllns. Tom Küstner vom Mietenbündnis Neukölln, der den Einwohnerantrag begründete, beschwor die Bezirksverordneten: »Jeder hat das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung«, und darum sollten sie sich freuen, »dass engagierte Bürger sich gegen den Ausverkauf einsetzen und sich nicht entsolidarisieren lassen.«
Anne Helm von den Piraten forderte: »Wir müssen einen Strauß von Instrumenten haben, die miteinander funktionieren.« Dazu gehöre der Milieuschutz ebenso wie eine Umwandlungsverordnung. Weitere »Voruntersuchungen für Voruntersuchungen« lehnte sie ab, dafür fehle einfach die Zeit.
Jochen Biedermann von den Grünen warnte, die Verwaltung werde den Zeitplan nur »mit Schneckentempo in Zeitlupe« aufstellen. Schließlich sei die Skepsis von Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) gegenüber dem Milieuschutz hinreichend bekannt. Aber »3.500 Neuköllner haben den Antrag unterschrieben und sind sauer. Die werden sich Gehör verschaffen«, drohte er.
SPD und CDU, die den Antrag bereits im Stadtentwicklungs- ausschuss abgelehnt hatten, beeindruckte das wenig. Die CDU bleibe bei ihrer Linie. »Wir lehnen den Milieuschutz ab«, sagte Daniel Dobberke und forderte Respekt vor dem Eigentum.
Michael Morsbach (SPD) argumentierte nicht ganz so rigide. Die SPD wolle keine Verdrängung, aber »der Einwohnerantrag fordert alles und das sofort, das ist nicht umsetzbar.« Er warb daher für den SPD-Antrag, einen Zeitplan für die Ausweisung von Milieuschutzgebieten aufzustellen. Mit den Stimmen der SPD wurde dieser Antrag letztendlich angenommen.

Kopftuch
Stoff des Anstoßes.Foto: mr

Anschließend gab es eine ausführliche Debatte über die Dringlichkeitsanfrage der Fraktion der Grünen, ob das Bezirksamt Kopf- tuchträgerinnen diskriminiere.  Bezirksbürgermeis- terin Franziska Giffey stellte klar: »Es trifft nicht zu, dass der Bewerberin eine Absage erteilt wurde.« Aber »die Neutralität des Staates und das Verbot, religiöse Symbole bei der Ausübung hoheitlicher Aufgaben zu tragen, sind ein hohes Gut unseres Gemeinwesens. Ich finde es nachvollziehbar, wenn man in so einer grundsätzlichen Fragestellung den Tatbestand prüft«, sagte sie.
Die Opposition sah dieses Vorgehen trotzdem kritisch. Christian Posselt (Die Linke) plädierte für eine Regelung wie in Großbritannien und Kanada, wo Polizistinnen mit Kopftuch und Polizisten mit Turban hoheitliche Aufgaben auch mit Außenwirkung wahrnehmen, und stellte damit das Neutralitätsgesetz grundsätzlich in Frage. 

mr