Diskussion über Würde, Tod und Selbstbestimmung in der »Dorfschule Rudow«
Der Saal in der alten Dorfschule Rudow war rappelvoll. Kein Wunder, ging es um ein Thema, das jeden früher oder später betrifft: wie kann ein würdevolles Sterben gelingen. Führt Sterbehilfe zu mehr Selbstbestimmung auch am Ende unseres Lebens oder geht es für diejenigen, die Sorge haben, im Alter oder bei schwerer Krankheit anderen zur Last zu fallen nicht vielmehr um großen Druck und Fremdbestimmung?Der Neuköllner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu hatte am 22. Januar zu einer Diskussion über dieses brisante Thema geladen. Er erhoffte sich damit auch eine Orientierungshilfe für seine persönliche Entscheidung im Bundestag, denn der soll im Herbst 2015 über ein Verbot oder eine Regulierung der Beihilfe zum Suizid entscheiden. Mehrere Gruppenanträge von Abgeordneten stehen dabei zur Diskussion. Sie reichen von der Forderung, jede Form der Sterbehilfe unter Strafe zu stellen bis hin zur Forderung nach Straffreiheit für nicht kommerzielle Vereine, wie es die Grünen fordern. Allen gemeinsam ist die Forderung, dass die palliativmedizinische Betreuung von Schwerkranken deutlich ausgebaut werden soll.
Darin waren sich auch Felgentreus drei Gesprächspartner einig. »Beim Sterben geht es ums Wohlbehagen bis zum Schluss«, sagte Stefan Sommer, Kardiologe und Mitglied des Ethik-Komitees im »Vivantes Klinikum Neukölln«. »Ärzte sollen sich dem Leben verpflichtet fühlen, aber sie haben auch eine Fürsorgepflicht, das Leiden zu lindern.« Dazu gehöre dann eben auch, den Tod zuzulassen, sei es durch Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen oder durch Sterbeerleichterung mit womöglich lebensverkürzenden Mitteln.
Ender Cetin, Vorsitzender der »Sehitlik Türkisch-Islamische Gemeinde Neukölln«, sah das ähnlich. »Nur Gott kann das Leben geben und nehmen.« Allerdings gebe es auch in den muslimischen Gemeinden Diskussionen. Konservative Muslime bestehen darauf, dass Leben um jeden Preis zu erhalten, auch wenn es nur noch an Maschinen hängt. In liberalen Kreisen verbreitet sich aber immer mehr die Auffassung, den Sterbeprozess auf natürliche Weise zu begleiten und ab einem bestimmten Punkt auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Aktive und passive Beihilfe zum Suizid wird aber grundsätzlich abgelehnt.
Viola Kennert, Superintendentin des »Kirchenkreises Neukölln«, berichtete aus ihren Erfahrungen bei der Sterbebegleitung, dass Menschen, die dem Tod nahe seien, eine große Sehnsucht nach Beistand haben. Der Wunsch nach einem Suizid sei oftmals keineswegs eine freie Entscheidung, sondern resultiere aus einer Geschichte des Leidens. Würde dieses Leiden durch eine gute palliativmedizinische Betreuung gelindert, trete der Wunsch zu sterben oftmals wieder in den Hintergrund. »Das Leben ist ein Geschenk und eine Aufgabe«, sagte sie. »Wir sollten lernen zu akzeptieren, dass man auf den Tod wartet.« Sie befürchtet außerdem eine Sogwirkung auf gesellschaftliche Normen. Der Druck aus dem Umfeld alter und kranker Menschen könnte sich erhöhen, wenn diese nur noch als Belastung angesehen werden.
Das wurde in den Reihen der Besucher ähnlich gesehen, die nach der einführenden Gesprächsrunde zu Wort kamen. Das Beispiel der Niederlande, wo es ein sehr liberales Recht in Bezug auf die Sterbehilfe gibt und wo die Suizidrate besonders bei alten, alleinstehenden Menschen in die Höhe geschnellt sei, zeige, unter welchem sozialen Druck diese Menschen stehen. Da könne von einer selbstbestimmten Entscheidung wohl kaum die Rede sein. Gefordert wurde dagegen mehr Rechtssicherheit für Ärzte, wenn sie Kranke und Sterbende so begleiten, wie diese es sich wünschen.
mr