»Kreuzkölln Superprovisorium«

Roman über den Wandel im Kiez

Als »Superprovisorium« wird laut Wikipedia »im juristischen Sprachgebrauch eine ohne Anhörung der Gegenpartei erlassene vorsorgliche Maßnahme« bezeichnet. Gleichzeitig weist der Begriff aber auch auf das Lebensgefühl vieler jüngerer Menschen hin, die in den Bezirk gekommen sind, um hier ihre Utopien zu verwirklichen.
Sam, die Hauptfigur des Romans, ist eine der vielen Berliner Rand­existenzen, die es nach Neukölln gezogen hat, weil es ihr dort noch möglich erschien, ihrer Berufung, der Malerei, nachzugehen, ohne sich den Gesetzen des kapitalistischen Kunstmarktes beugen zu müssen. Gemeinsam mit ein paar Künstlerkollegen hat sie sich für geringes Entgelt ein Ladenlokal als Atelier gemietet, und auch die Miete ihrer Wohnung kann sie sich noch leisten, ohne eine feste Lohnarbeit annehmen zu müssen. Eines Tages findet Sam einen Zettel in ihrem Briefkasten, dass das Mietshaus, in dem sie wohnt, verkauft wurde. Und auch ihr Atelier soll einer Filiale einer ausländischen Saftladenkette weichen. Die sorglosen Tage in Neukölln scheinen gezählt.
Atmosphärisch dicht und mit offensichtlich profunden Ortskenntnissen beschreibt Juliane Beer, selbst seit dreißig Jahren in Berlin und seit über zehn Jahren in Neukölln ansässig, die Wandlung eines Bezirks und die Verdrängung seiner Bewohner. Sie weiß, wovon sie schreibt. Auch das Haus, in dem sie wohnt, hat in den letzten Jahren mehrmals den Besitzer gewechselt. Der Roman handelt aber nicht nur von der Aufwertung eines Stadtteils, sondern auch vom Gefühl der Abwertung des eigenen Lebensentwurfs, vom Umschlagen von Unabhängigkeit in Existenzangst und Prekarität. Wer noch einmal in das Neuköllner Lebensgefühl der letzen beiden Jahrzente eintauchen möchte, dem sei dieser Roman unbedingt ans Herz gelegt.

rb
Juliane Beer: Kreuzkölln Superprovisorium. Michason & May Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main 2013, 14,80 Euro.