Wie es der Zufall will
Zufällig war ich neulich um 20 Uhr am Heinrichplatz und zufällig waren dort ganz viele Fahrradfahrer, die dann plötzlich losfuhren. Ich fuhr dann mal mit, ich hatte nichts Besseres zu tun.
Schätzungsweise 2.000 Radler bildeten die »Critical Mass«, die sich immer am letzten Freitag im Monat zusammenfindet, um die Stadt zu erobern. Offensichtlich war allen bekannt, dass ein Verbund von mehr als 15 Radlern eine Verkehrseinheit bildet.
Ich war erstaunt, wie gesittet sich die Einheit im Straßenverkehr verhielt. Die Spitze hielt an jeder roten Ampel und fuhr bei Grün, der Rest durfte dann durchfahren, auch wenn die Ampel auf Rot sprang. Für fast alle Teilnehmer war der Ausflug ein entspanntes Rollern im verkehrsbefreiten Berlin.
Wo es hingehen sollte, wusste keiner, da hatte wieder der Zufall seine Finger im Spiel.
Kommentare jeglicher Art gab es von Unbeteiligten: »Hier hält man bei Rot, Ihr Wichser – anhalten!«, brüllte ein Fußgänger. Die halbstarken BMW-Fahrer konnten ausgiebig den Klang ihrer Hupen testen und ihre Stimmbänder trainieren: »Ich fick Deine Mutter, hast Du Macke, bist Du schwul?« Die Radler fanden das amüsant.
Interessant war das Spektrum an Fahrrädern und Radlern. Ein Fahrradfahrer, der bestimmt jenseits der 70 war, fuhr auf extrem dicken Reifen in flottem Tempo mit. Ich fragte ihn, ob es nicht sehr anstrengend sei, auf solchen Reifen zu fahren. Darauf er: »Kommt immer darauf an, wo man herkommt. Bis vor Kurzem bin ich mit meinem alten Klapprad gefahren und hatte immer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 km/h, da ist dieses Modell leichter zu fahren.« Ich versank in Ehrfurcht.
Vier Stunden insgesamt radelte diese witzige Truppe durch Berlin. Ich liebe Zufälle.