Ausgrabungen auf dem Friedhof

Kirchliches Zwangsarbeiterlager wird freigelegt

Nicht nur die großen Firmen wie die Flugzeugwerke auf dem Tempelhofer Feld setzten während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter ein. Auch die Berliner Evangelischen Kirchengemeinden betrieben von April 1942 bis zum Kriegsende auf dem hinteren Teil des Kirchhofs der Jerusalemsgemeinde in der Neuköllner Hermannstraße 84 ein Zwangsarbeiterlager.

zwangsarbeiterHistorische Steine in Neukölln.                               Foto: mr

Lange war das »Friedhofslager« unter Schutt und Abfall begraben. Anfang August haben Jugendliche eines internationalen Workcamps gemeinsam mit Berliner Jugendlichen unter der Leitung des Archäologenteams vom »Archäologiebüro ABD-Dressler Archäologie/ Baubegleitung/ Denkmalpflege« Reste dieses Lagers ausgegraben. Zum Vorschein kamen Fundamente der Wohnbaracke und ein erstaunlich großer und gut erhaltener Kartoffelkeller, aber auch Relikte, die Hinweise auf das Alltagsleben in der Baracke geben. So wurden Reste von Schuhsohlen gefunden, die aus alten Autoreifen zurechtgeschnitten waren.
Über 100 »Ostarbeiter«, die meisten Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren aus dem Gebiet der heutigen Ukraine, mussten hier ein armseliges Leben fristen. Die Verpflegung war karg, die Arbeit hart. Eingesetzt wurden sie auf Friedhöfen im gesamten Stadtgebiet und mussten dort Gräber ausheben für die vielen Toten der Bombennächte. Nur mit einem Spaten ausgerüs-tet, war das körperliche Schwerstarbeit, besonders im Winter, wenn der Boden gefroren war. Der monatliche Lohn für diese Knochenarbeit betrug nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung 20 bis 40 Reichsmark. Deutsche Arbeiter bekamen das Drei- bis Vierfache.
Langfristig möchte die Kirche auf diesem Gelände eine Gedenkstätte einrichten. Derzeit gibt es auf dem auf der anderen Straßenseite liegenden Thomasfriedhof einen Informationspavillon. Schautafeln, die auch von außen zu sehen sind, erzählen hier die Geschichten von zehn jungen Männern, die im Neuköllner Friedhofslager gelebt haben. Ihre Berichte geben Einblick in den Alltag der Zwangsarbeiter. Besonders anrührend ist das Tagebuch des achtzehnjährigen Wasyl Kudrenko, in dem er ab Anfang 1944 fast jeden Tag festhielt.
Während der Öffnungszeiten des Pavillons sind Ehrenamtliche der »AG NS-Zwangsarbeit« anwesend, die jedem Besucher sehr freundlich und kompetent Auskunft geben. Auch Schülergruppen sind hier zu Gesprächen und Führungen herzlich willkommen. 

mr
Der Pavillon ist von April bis Oktober jeweils mittwochs und samstags von 15 bis 18 Uhr geöffnet.