Neuköllner Alltägliches

NK_Tagblatt-KopfNachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr 151 – Mittwoch, 1. Juli 1914
Beim Tanzen wurde im Parkrestaurant zu Treptow die 45jährige Witwe Klara Hartmann aus der Münchener Str. 1 zu Neukölln vom Tode ereilt. Während eines Tanzes sank sie tot nieder. Ihre Leiche wurde dem Schauhause zugeführt.

Nr 152 – Donnerstag, 2. Juli 1914
Die böse Stiefmutter. Der Monteur K., Anzengruberstraße 12, hatte seine Frau durch den Tod verloren, und da ihm dieselbe zwei kleine Töchter hinterlassen hatte, sah er sich im Interesse der Kinder veranlaßt, sich wieder zu verheiraten. Er hoffte, daß die zweite Frau seinen Kindern eine gute Mutter sein werde und ging beruhigt seiner Beschäftigung nach, die ihn häufig für längere Zeit nach außerhalb führte, so daß er seine Familie wochenlang nicht zu sehen bekam. Frau K. erwies sich leider sehr bald als eine sehr böse Stiefmutter, welche die beiden Kinder im Alter von 3 und 10 Jahren bei jeder Gelegenheit in rohester Weise mißhandelte, so daß die ganze Nachbarschaft darüber aufs äußerste empört war. Als K. am Dienstag nachmittag nach Hause kam, machten ihm einige Nachbarn von den empörenden Mißhandlungen Mittilung. K. ging infolgedessen mit seinen Kindern zu einem in der Nähe wohnenden Arzte und ließ dieselben dort untersuchen. Das Resultat der Untersuchung bestätigte die Angaben der Nachbarn in jeder Weise, denn beide Kinder waren entsetzlich zugerichtet; ihre Körper trugen deutlich die Spuren rohester Mißhandlungen. Am schlimmsten zugerichtet war das dreijährige Kind, dessen Rücken voller Beulen war, während aus dem linken Unterarm ein Stück Fleisch herausgerissen und die Wunde in Eiterung übergegangen war. Nach der Rückkehr des K. in seine Wohnung gab es natürlich eine heftige Szene. Inzwischen hatten sich zahlreiche Frauen zusammengefunden, welche verlangten, daß die brutale Stiefmutter aus dem Hause gejagt werden solle, da man mit einer derartigen Person nicht mehr unter einem Dache wohnen wolle. K. kam diesem Verlangen auch nach und jagte die herzlose Stiefmutter aus seiner Wohnung. Nur mit knapper Not entging Frau K. der Lynchjustiz der empörten Frauen. K. hat die Angelegenheit zur Kenntnis der Polizei gebracht, so daß Frau K. sich wegen ihrer rohen Taten noch vor dem Strafrichter zu verantworten haben wird.

Nr 175 – Mittwoch, 29. Juli 1914
Auf der hiesigen städtischen Sparkasse fand gestern Vormittag wieder ein ziemlich starker Andrang von Sparern statt, die ihre Einlagen zurückverlangten, der aber dann bald nachließ, so daß das verstärkte Beamtenpersonal das Publikum in gewohnter prompter Weise abzufertigen vermochte. Es wurden über die Bestimmungen der Satzungen hinaus bis zu 200 Mark ausgezahlt. In sehr zweckmäßiger Weise wurden im Vestibül die anlangenden Sparer, namentlich Frauen, darüber aufgeklärt, daß es töricht sei, aus Kriegsfurcht Gelder abzuheben.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1914 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Der Krieg beginnt

Ein Attentat wird zum Auslöser für die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts

Der große Konflikt zwischen den europäischen Mächten, der schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte, hatte sich lange angebahnt.
Deutschland hatte sich politisch isoliert und sah sich von Feinden umstellt. Auf dem Balkan drohten die von Rußland und Serbien unterstützten slawischen Unabhängigkeitsbewegungen gegen die als Unterdrückung empfundene Herrschaft, den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zu zerreissen.
Als der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajewo den Kugeln eines serbischen Nationalisten zum Opfer fielen, lieferte das den österreichischen Militärs die Gelegenheit, Serbien, dem die Unterstützung der Attentäter von Sarajevo zur Last gelegt wurde, mittels eines Krieges in die Schranken zu weisen und die alte Ordnung wieder herzustellen.

Tageblatt_2die Presse erwartet den Krieg.    Foto: mr

Dem konnte Rußland als Schutzmacht Serbiens nicht tatenlos zusehen. Frankreich war bei Konflikten auf dem Balkan an Rußland gebunden, England würde bei einem Angriff auf Frankreich nicht neutral bleiben und Deutschland stand treu an der Seite der Donaumonarchie. Diese Konstellation machte es unmöglich, einen Krieg regional zu begrenzen.
Anders als die Miltärs, versuchte die deutsche Diplomatie noch, einen großen Krieg zu verhindern, auch England versuchte zu vermitteln.
Die deutschen und österreichischen Militärs waren aber der Ansicht, nur ein Präventivkrieg könne verhindern, dass die anderen europäischen Mächte, insbesondere Russland, übermächtig würden. Und der müsse begonnen werden, solange er noch zugunsten Deutschlands entschieden werden könne.
Mit der Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli setzte Österreich die katastrophale Kettenreaktion in Gang.
Am 30. Juli folgte die Generalmobilmachung der russischen Truppen. Das große Sterben hatte begonnen.

mr