Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr 107 – Freitag
8. Mai 1914
Durch einen Schlafstellendieb erheblich geschädigt wurde der Arbeiter Franz Riepert, Warthestraße 14. Die Wirtin des R. hatte noch einen zweiten Schlafgänger aufgenommen, einen etwa 25 Jahre alten Mann, der am nächsten Morgen in aller Frühe aufstand. Er ließ sich auch nicht wieder sehen, denn er hatte, wie man später entdeckte, seinem Zimmergenossen R. einen neuen Jackettanzug und 1 Paar Schnürschuhe entwendet. Bisher konnte man des Schlafstellendiebes nicht habhaft werden.

Nr. 109 – Sonntag
10. Mai 1914
Die Maikäfer treten in diesem Jahr nur vereinzelt auf. Infolgedessen halten die Knaben auf hohe Preise für die braunen Gesellen. Kehrt doch mancher dieser Maikäfer=Jäger von den Jagden abends  zurück,ohne von diesem sonderbaren Wild auch nur ein Stück »gesichtet« zu haben.
Nr. 111 – Mittwoch
13. Mai 1914
Einen größeren Auflauf gab es gestern vormittag in der 10. Stunde an der Ecke Berg- und Steinmetzstraße (Anm. d. Red.: Karl-Marx-Str./Ecke Kienitzer Str.). Ein Hundefänger hatte einen Hund gefangen, der keine Steuermarke trug. Um den Hund fortführen zu können, wollte ihm der Fangbeamte ein Halsband ummachen, der Köter wußte dies aber durch allerhand Bocksprünge und Beißen zu verhindern. Es blieben daher immer mehr Leute stehen, die sich über die vergeblichen Versuche des Hundefängers und über den schlauen Köter fast krank lachen wollten. Plötzlich brachte ein hinzugekommener unbekannter Mann eine neue Note in das Bild. Er zog ohne weiteres einen langen, scharfen Stockdegen hervor und ging damit dem Fangbeamten zu Leibe, um den Hund zu befreien.Der Fangbeamte mußte zwar retirieren, ließ den Hund jedoch nicht los. Als ein Passant den Besitzer des Stockdegens auf die Strafbarkeit seiner Handlung hinwies und ihm in seinem eigenen Interesse riet, die verbotene Waffe einzustecken, wurde auch dieser von dem Stockdegenbesitzer bedroht. Niemand wagte es, gegen den gefährlichen Burschen vorzugehen und leider war auch weit und breit kein Schutzmann zu sehen. Als der immer weiter bedrohte Fangbeamte schließlich weiter in die Bergstraße retirierte, zog es der Mann mit dem Stockdegen doch vor, die Waffe einzustecken und in eine nahe Kneipe zu verschwinden. Als endlich ein Schutzmann auf der Bildfläche erschien, war der Stockbogenbesitzer, der sicher nicht zu den harmlosen Bürgern zählt, leider bereits aus dem Lokal verschwunden.

Nr. 125 – Sonnabend
30. Mai 1914
Einen unheimlichen Fund machten Passanten des Tempelhofer Feldes gestern morgen dicht an der Lichtenrader Straße. Sie fanden ein Paket, welches die Leiche eines neugeborenen Kindes männlichen Geschlechts enthielt. Ob das Kind gewaltsam getötet worden ist, muß die Obduktion ergeben. Die Leiche wurde daher dem Schauhaus zugeführt. Die Recherchen nach der Mutter sind im Gange.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1914 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Arme Schlafburschen in Wohnlöchern

Wohnungsnot schon damals in Neukölln

Mit der Industrialisierung wuchs die Bevölkerung Neuköllns, insbesondere die Arbeiterschaft, die schlecht ausgebildet und noch schlechter bezahlt wurde.
Aufgrund der großen Wohnungsnot entstanden auch hier die typischen Mietskasernen mit mehreren Hinterhöfen zur Unterbringung möglichst vieler Arbeiter. Die überwiegend vorhandenen »Stube-Küche-Wohnungen« hatten weder Bäder noch Innentoiletten; oft mussten sich die Mieter eines Hauses zwei oder drei Hoftoiletten teilen. Die große Nachfrage erlaubte es den Vermietern, für diese »Wohnlöcher« so hohe Mieten zu verlangen, dass die nur zu finanzieren waren, wenn neben den Hauptmietern noch mehrere »Schlafburschen« einen Anteil zahlten.

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Heinrich Zille:  Der späte Schlafbursche.

Das waren meist jüngere Schichtarbeiter, die wegen ihres geringen Einkommens nur Bettstellen als Übernachtungsmöglichkeit mieten konnten. Für einige Stunden am Tag oder in der Nacht übernahmen sie ein Bett des Wohnungsinhabers. Die übrigen Räume der Wohnung standen ihnen jedoch nicht zur Verfügung, und sie erhielten auch keine Verpflegung. An Sonn- und Feiertagen blieb ihnen nur das Herumlungern auf Parkbänken. Fürs Wirtshaus reichte der Lohn meistens nicht.
Nicht selten kam es vor, dass der Schlafbursche im selben Zimmer nächtigte wie die Vermieterfamilie, manchmal sogar in einem  Bett mit einem Mitglied der Vermieterfamilie. Privatsphäre war in Unterschichthaushalten ein Fremdwort.
Als Ärmste der Armen hatten die Schlafburschen einen ziemlich schlechten Ruf. Ihnen wurden Gewaltverbrechen, Unmoral und vor allem die Verführung von Ehefrau und Kindern der abwesenden Vermieter vorgeworfen.
Soziale Vereinigungen gingen schließlich daran, vor allem in den großen Städten das »Schlafburschenunwesen« zu bekämpfen und Arbeiterwohnheime einzurichten. 

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