Engagement von unten

Ohne die Eigeninitiative der Sylvia Fee läge das Seniorenhaus im Rollbergkiez weiterhin im tiefen Dornröschenschlaf.
Gilles Duhem vom »Morus14« ist unermüdlich dabei, die Schularbeitenhilfe für Rollbergkinder voranzutreiben. »Mieter kochen für Mieter« ist eine Institution geworden, bei der Berliner Promis ihre Kochkünste unter Beweis stellen dürfen.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« wurde von einer Handvoll Menschen gegründet und sammelt nun Hunderttausende Unterschriften für das Volksbegehren für die Erhaltung des Tempelhofer Feldes.
Selbst die Gründung der Kiez und Kneipe geht auf wenige Menschen zurück, die eine Zeitung machen wollten.
Allen ist gemein, dass das Engagement von wenigen oder Einzelpersonen ausging, die im Schneeballsystem Menschen zum Mitmachen begeistern konnten. Das ist ein besonderes Merkmal für Neukölln und so soll es auch 2014 sein.
Petra Roß

Freifahrtschein ins Paradies

Gotteskrieger auf der Suche nach dem Weg in den Himmel.    Foto: internet

Berliner Jugendliche werden empfänglicher für die Ziele der Dschihadisten

Wochenlang diskutierte die türkische Vätergruppe des Vereins »Aufbruch Neukölln« unter der Leitung des Psychologen Kazim Erdogan in ihren regelmäßigen Treffen über die zunehmende Radikalisierung Berliner Jugendlicher. Einige Gruppenteilnehmer wurden in ihren eigenen Familien mit dem Phänomen konfrontiert. Diese besorgniserregende Entwicklung nahm die Vätergruppe zum Anlass, um in einer Pressekonferenz im »Neuköllner Leuchtturm« auf dieses Thema aufmerksam zu machen.
In seinen einleitenden Worten umriss Kazim Erdogan die Dimensionen, die das Problem inzwischen angenommen hat. Schätzungsweise um die 30 Berliner kämpfen bereits im syrischen Bürgerkrieg, die Tendenz ist steigend. Wie viele Jugendliche in Berlin kurz davor sind, nach Syrien zu gehen, weiß niemand, aber die Anwerbemethoden werden immer bizarrer. Erdogan berichtet von einer muslimischen Religionsgemeinschaft, die »Paradiespässe« ausstelle, die jedem, der in Syrien kämpft, den Einzug ins Paradies garantiert. Besonders anfällig für solche Heilsversprechen seien in Deutschland aufgewachsene Jugendliche aus muslimischen Familien, die aus schwierigen Verhältnissen stammen, keinen Schulabschluss und keine Perspektive haben oder sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Ihnen werde suggeriert, dass sie etwas wert seien, wenn sie in Syrien beim Aufbau eines Gottesstaates helfen, in dem sie nicht wie in Deutschland als Menschen zweiter Klasse behandelt würden.
Claudia Danschke, Extremismusexpertin vom »Zentrum Demokratische Kultur« und Leiterin der Beratungsstelle »Hayat« beschreibt die zunehmende Radikalisierung als »jugendkulturelles Phänomen«. Sie berichtet von Propagandagruppen, die, oft getarnt als humanitäre Hilfsorganisationen, bei den Jugendlichen in ein Vakuum stießen, indem sie ihre Hilfsbereitschaft und ihr Gerechtigkeitsgefühl ansprächen, um sie so zum Dschihad zu verführen. Das Leben als Gotteskrieger werde romantisiert und emotionalisiert. Die Argumentation dieser Gruppen sei dabei »pseudo-religiös«. Mit »Suren-Hopping« würden die Jugendlichen mittels einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Koranstellen mit einem radikal-islamistischen Weltbild infiltriert.
Erol Özkaraca (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses, vergleicht das Phänomen mit dem Rechtsextremismus. In beiden Fällen handele es sich um orientierungslose Jugendliche mit schwachem Selbstwertgefühl, die nach einer starken Gemeinschaft suchen. In der SPD-Fraktion sei das Problem bisher noch nicht thematisiert worden. Das liege aber auch daran, dass es in Berlin eine Vielzahl unterschiedlicher Religionsvereine, jedoch keine konkreten Ansprechpartner gebe.
Auf die Frage aus dem Publikum, was die SPD denn tue, um der Radikalisierung der Jugendlichen entgegenzuwirken, verweist Özkaraca auf die Anstrengungen in Neukölln im Bereich der Ganztagsschulen. Er betont aber auch, dass die Politik nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen könne, sondern dass in diesem Falle Eigenverantwortung nötig sei. Aus diesem Grunde begrüßt er ausdrücklich die Initiative der Vätergruppe, auch weil sie von den Betroffenen selbst komme.
Die Teilnehmer der Veranstaltung waren sich einig, dass die Jugendlichen nicht allein gelassen werden dürfen. Nicht Autorität und Verbote, sondern Zuwendung und Kommunikation seien die richtigen Gegenmittel, dem Abdriften der Jugendlichen zu den radikalen Gruppen entgegenzuwirken.
rb

Mit Absperrband gegen Senatspläne

Bürgerinitiative markiert die geplanten Baufelder auf dem Tempelhofer Feld

Rotweißes Absperrband, an dem die grünen Ballons mit dem Logo der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« befestigt waren, zog sich quer über das Tempelhofer Feld im Bereich der Oderstraße – symbolisch für die geplante Wohnbebauung. Mitglieder des »Bundes für Umwelt und Naturschutz« (BUND), der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« und Politiker der Grünen aus Neukölln, Tempelhof und Kreuzberg wollten mit dieser Aktion gegen die Pläne des Senats protestieren und zeigen, wie groß die Fläche auf der Neuköllner Seite tatsächlich ist, die der Senat zukünftig bebauen will.

thf_flatterbandProtest auf dem Feld.           Foto: mr

»So kann man sich eine Vorstellung machen, welche Ausmaße die Randbebauung in Wirklichkeit haben wird. Auf den Plänen, die vom Senat veröffentlicht werden, wird das leider nie so deutlich«, meinte einer der Aktivisten.
Bis weit in die geschützten Wiesenbereiche reicht das geplante Baufeld. Das entspricht in etwa der Größe des Schillerkiezes zwischen Weisestraße und Oderstraße. Etwa 1.700 Wohnungen sollen hier entstehen, dazu eine Schule und eine Kita.
In der gleichen Größenordnung bewegen sich auch die Planungen für den Bereich an der Autobahn und am Tempelhofer Damm. Dort sollen allerdings auf fast 70 Prozent der Fläche Gewerbeimmobilien gebaut werden, außerdem die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), für die Ende des letzten Jahres der Architektenwettbewerb entschieden wurde. Nur etwa 30 Prozent sind für den Wohnungsbau vorgesehen. Wenn der Senat die Bebauung in dieser Größenordnung durchsetzt, geht nahezu ein Drittel des Feldes verloren.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« setzt sich für den Erhalt des Feldes als Ort der Erholung, als kulturhistorisches Denkmal und als Schutzraum für Pflanzen und Tiere ein. Ihr Ziel ist es, das Areal dauerhaft vor jeglicher Bebauung und Privatisierung zu schützen.
Das Feld sei ein einmaliger Ort, wie es ihn in keiner anderen Metropole gebe, meinte Michael Schneidewind, einer der Sprecher der Bürgerinitiative.  Für den dringend benötigten Wohnungsbau ebenso wie für den Bau von Gewerbeimmobilien gebe es genügend andere, weitaus besser geeignete Flächen als die grüne Wiese, die erst für viel Geld baureif gemacht werden müsse.
Noch bis zum 13. Januar sammelt die Initiative Unterschriften für das Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes. Damit es erfolgreich ist, müssen rund 174.000 gültige Unterschriften zusammenkommen. Dann können die Berliner an der Wahlurne über die Zukunft des Feldes entscheiden.
Am 11. Januar ab 15:00 ruft die Initiative zum »Trommeln für das Tempelhofer Feld« auf. Zwischen den Eingängen zum Feld am Columbiadamm oder wo immer sich in den Kiezen Trommelgruppen treffen wollen, soll mit dieser Aktion noch einmal für die Unterschriftensammlung geworben werden.                                                                     mr

Die Jury kann sich nicht entscheiden

Der Wettbewerb um den Bau der Zentral- und Landesbibliothek hat zwei Sieger

Der Architekturwettbewerb um den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld ist beendet. Allerdings konnte sich die Jury nicht entscheiden und vergab deshalb gleich zwei erste Preise.
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist aber von beiden Entwürfen begeistert: »Beide Entwürfe sind offene, einladende Häuser. Der eine ist im höchsten Maße ikonografisch und hat eine große Symbolkraft an diesem Ort, der andere bietet eine Art offene Werkstatt für die künftigen Nutzerinnen und Nutzer und wunderbare Ausblicke auf die Weite des unbebauten Tempelhofer Feldes.«
Das Züricher Büro »MOA – Miebach Oberholzer Architekten« stellt sich ein transparentes neungeschossiges Haus mit viel Glas vor. »Der überzeugende robuste und durchaus flexible Charakter der Bibliothek, der kräftige Ausdruck ähnelt einer Kulturmaschine«, urteilte die Jury.1_Preis_Arbeit_1034_Mo_SW_1

Das Stuttgarter Büro »Kohlmayer Oberst Architekten« plant ein 260 Meter langes, fünfgeschossiges Gebäude, das mit wenigen, im Mittelteil des Gebäudes gelegenen Stützen auskommt und Lüscher zufolge einem Schiff ähnelt. »Der Baukörper wird charakterisiert durch eine extrem weitgespannte Betonkonstruktion, in die Bibliothek in funktionalen Ebenen eingesetzt wird«, erklärten die Juroren.

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Bei den Veranstaltungen des letzten Jahres, in denen die Pläne für den Bau der Bibliothek der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, war allerdings immer die Rede davon, eine moderne Bibliothek müsse in die Höhe gebaut werden, um zu funktionieren. Das war der Grund, weshalb der Einbau der ZLB in das  alte Flughafengebäude von Senatsseite kategorisch abgelehnt wurde.
Beide Varianten sollen jetzt weiter überarbeitet werden. Im Frühjahr will die Jury dann entscheiden, welcher Entwurf den Zuschlag bekommt. 2015 soll der Bebauungsplan folgen, 2016 der Baubeginn. 2021 soll alles fertig sein, so die Planung.
Auf einer Fläche von 60.000 Quadratmetern sollen dort die Bestände der Berliner Stadtbibliothek, der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und der Senatsbibliothek zusammengeführt werden.
Rund 270 Millionen Euro soll der Neubau kosten. Das ist jedenfalls die Vorstellung des Senats. Kritiker befürchten allerdings, dass, wie bei anderen Bauten der öffentlichen Hand auch, hier die Kosten explodieren, zumal der Entwurf der Stuttgarter bereits jetzt den Kostenrahmen sprengt. Auch zu den Kosten der Infrastruktur, die mittelbar durch den Neubau verursacht werden, wie Straßenbau, Versorgung mit Elektrizität und Wasser sowie die Entsorgung, macht der Senat keine Angaben. Ungeklärt ist auch die Zukunft der dringend renovierungsbedürftigen AGB, die dann ihre Funktion verliert.
Eine Ausstellung aller Arbeiten des Wettbewerbs wird am 4. Februar um 18:00 eröffnet und ist bis zum 28. Februar im Flughafengebäude Tempelhof, Columbi­a­damm 10, Gebäude A1, zu sehen.

mr

Das Rollbergerwachen

Neues Engagement rückt das Seniorenhaus wieder ins öffentliche Interesse

Völlig unbekannt in Neukölln war bislang das Seniorenhaus im Rollbergkiez. Der Gebäudekomplex  von »Stadt und Land« mit 108 Wohneinheiten, der sich zwischen Morusstraße, Werbellin­straße, Rollbergstraße und Karl-Marx-Straße befindet,  ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Zu verdanken ist es Sylvia Fee, die 2011 in das Haus einzog. Zwei Jahre sollte es noch dauern, bis sie die Geschichte des Hauses aufgearbeitet hatte. Seit 2013 wirbt sie mit Tatendrang für das Haus.
Bis 2011 gab es im Hause nicht nur aktive Menschen, auch Fördergelder flossen – für ABM-Kräfte und für die Unterstützung der Aktivitäten des damaligen Seniorenbeirats, der Feiern und Ausflüge organisierte. Mit dem Verschwinden der aktiven Mitglieder wegen Krankheit oder Tod, für die sich keine Nachfolger fanden, fiel das Haus in eine Starre. Konflikte zwischen den neuen Mietern und den Alteingesessenen brachen aus. Das Klima wurde schlechter und der Seniorenbeirat löste sich auf. Jedoch blieben der Gemeinschaftsraum für Feste und die Waschküche erhalten. Im Gemeinschaftsraum hatten sich im Laufe der Zeit jede Menge Küchenutensilien angesammelt, die ungenutzt herumstanden.

Seniorenhaus_gemeinschaftsraumIm Gemeinschaftsraum ist Platz zum Feiern.         Foto:fh

Sylvia Fee konnte das an ihrem Wohnort, der nur von über 60-Jährigen gemietet werden kann, nicht mit ansehen. Sie suchte den Kontakt zu den Bewohnern und konnte einige dafür begeistern, sich wieder für einen Seniorenbeirat einzusetzen, der nun im Februar gewählt wird. Seine Aufgabe wird es sein, Fördergelder zu organisieren für das, was die Bewohner interessiert. Im Vordergrund steht dabei die Geselligkeit, aber auch ein Dienst für die Arztbegleitung ist geplant. Darüber hinaus sind Veranstaltungen in Vorbereitung, die sich mit den Themen der Senioren beschäftigen. In einer Zeit, in der Rentner immer ärmer werden, wollen diese Senioren nach Lösungen für ein würdevolles Leben suchen.Seniorenhaus_innenhof

   Innenhof des Seniorenhauses.       Foto: fh

Ein Anfang wurde bereits mit dem Besuch im »SchwuZ« in der Rollbergstraße gemacht, den Gilles Duhem vom »Morus 14«, Sylvia Fee und der Geschäftsführer des »SchwuZ« Marcel Weber für die Nachbarn organisiert hatten. Zahlreich erschienen die Senioren, und Vorbehalte gegen den Veranstaltungsort konnten abgebaut werden. Ein Mitarbeiter des »SchwuZ« war von den Besuchern hoch begeistert. »Ich wünschte, meine Omi würde mich hier besuchen«, sagte er, womit er im Sturm die Herzen der Besucher eroberte.

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Das Ende der Revolte

Nur noch ein Jahr »Freies Neukölln«

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 Noch gibt es das »Freie Neukölln«.      Foto: mr

Für einen der Wegbereiter des Ausgehbooms in Nordneukölln ist der Weg absehbar zu Ende. Seit 2006 ist die gemütliche Eckkneipe »Freies Neukölln« ein Fanal der unkonventionellen Kultur im Kiez. Latte Ma­cchiato gibt es hier aus Prinzip nicht, dafür Focaccia, Retsina und baye­risches Bier. Und mit dem Videoblog »Sender Freies Neukölln« und seinen charmant-gehässigen Filmchen und Reportagen gingen von dieser Institution sogar sanft revolutionäre Impulse aus. Mit zweifelnd-radikalem Blick auf das »alternativlos« wachstumsfixierte Weltgeschehen propagierte der Blog regelmäßig einen Systemwechsel hin zu echter Basisdemokratie.
In einem Interview in der »Berliner Zeitung« erklärt Matthias Merkle nun, dass seine Kneipe Ende 2014 schließen müsse – der Mietvertrag laufe ohne Chance auf Verlängerung aus. Der Hausbesitzer, eine GmbH in London, schotte sich ab und von der Hausverwaltung werden er und seine Mitbetreiberin Antje Borchardt seit zwei Jahren ohnehin schon mit monatlichen fristlosen Kündigungen drangsaliert.

Occupy-Unterstützer Merkle ist inzwischen schon nach Französisch-Buchholz gezogen und betreibt dort ein Selbstversorgerprojekt, fern von Wachstums-, Konkurrenz- und Ausverkaufskonzepten. Zudem arbeitet er an einem alternativen Wohnprojekt namens »Andere Welt« in Strausberg. Der Wandel und die Verdrängung im Kiez werden 2014 trotzdem noch ausgiebig im »Freien Neukölln« behandelt und diskutiert.
Wundersam waren die spontanen Reaktionen auf Merkles Interview: Ausgerechnet die »taz« schrieb,  Merkle sei einer, der die Gentrifizierung geschaffen habe, indem er einem jungen Publikum einen Ort zum »hip sein« schuf. Nun jammere er, obwohl die Entwicklung zu teureren Mieten »schlicht und ergreifend Stadtgeschichte« und Veränderung eine Herausforderung sei, »der man sich nur stellen muss«. Und in der Netzkolumne des blog.brash.de heißt es rüde, ein Hort der Unangepasstheit sei das »Freie Neukölln« nie gewesen, die Tragik vom Ende des Lokals sei eine rein nostalgische und der Protest der Szene-Konservativen nur ein Ressentiment.
Viele scheinen gern »mit der Zeit« zu gehen – bis sie selbst verdrängt werden.    

hlb

Mit Tasten und Trompeten

Das »Duo Cinema« begeisterte in der »Taste«

Filmmusik, da denken viele an ein großes Orchester mit opulentem Klang.
Dass es auch anders geht, beweist das »Duo Cinema« aus Neukölln mit Stefan Fischer am Klavier und Paul Schwingenschlögl an Trompete und Flügelhorn. Gekonnt setzen sie Filmmusik in Szene und schaffen mit wenigen Mitteln eine neue Musiktraumwelt für die Zuhörer, die sich gerne auf die Reise einlassen.
So auch am 7. Dezember, als das »Duo Cinema« im kleinen Salon der »Taste« an der Sonnenallee zu Gast war und durch die packende Welt der Filmmusik führte. Das Repertoire reicht von Klassikern wie »Der letzte Tango« oder »Der Pate« bis zu neueren Produktionen wie »Slumdog Millionaire«. An das träumerische Trompetensolo aus »La Strada« schließen sich unmittelbar die donnernden Klavierakkorde aus »Bladerunner« an, um dann wieder zu einem romantischen Thema aus demselben Film zu wechseln. Bei der Titelmusik aus dem Bond-Film »Diamantenfieber« übernimmt die Trompete die Rolle der Stimme.

 duoCinemaDas glorreiche Duo.                    Foto: mr

Ohne die Unterstützung eines großen Orchesters befreien sie diese Musik von allem Zierrat und reduzieren sie auf das Wesentliche. Bauhaus statt Barock. Dabei genügt es ihnen jedoch nicht, die Stücke einfach nachzuspielen. Durch ihre speziellen Arrangements und eigenwilligen Improvisation erhalten altbekannte und oft gehörte Filmthemen eine ganz neue Note.
Während die Finger von Stefan Fischer nur so über die Tasten des Klaviers zu fliegen scheinen, spielt Paul Schwingenschlögl auf der Trompete wie in Trance. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Ein Blick genügt und sie wissen, wie es weitergeht. Lange gefackelt wird nicht, es folgt Stück auf Stück, so dass der Traum kein jähes Ende nimmt.
Mit wohligen Klängen werden die Zuhörer schließlich vorsichtig zurück in die Realität geholt. Aber die nächste Möglichkeit, sich in die Welt der Filme zu träumen, kommt bestimmt. 

mr

»Hang Caravan« mit Hang zum Experiment

Sphärische Klänge im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt

Die Instrumente sehen nicht nur außergewöhnlich aus, sie geben auch bezaubernde Klänge von sich. Das Hang ist ein um die Jahrtausendwende erfundenes Perkussionsinstrument aus Stahl, das über eine außergewöhnliche Klangvielfalt verfügt, die von zart perlenden bis zu kräftigen perkussiven Tönen reicht.
Die Gruppe »Hang Caravan«, die am 6. Dezember zu Gast im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt war, führte die Zuhörer durch faszinierende Klangwelten zwischen Weltmusik und Jazz.
Den Rhythmus gaben die beiden Hangspieler Tivadar Nemesi und Adam Gallina vor. Die Melodiebögen darüber spannte Paul Schwingenschlögl mit seiner Trompete oder dem Flügelhorn. Da gab es temperamentvolle Balkanklänge, bei denen die Zuhörer kaum die Füße stillhalten konnten, aber auch immer wieder leise Stücke, die zum Träumen einluden.

Hang Caravan»Hang Caravan« mal laut, mal leise.   Foto: mr

Damit es nicht gar zu ernsthaft wurde, wartete Paul Schwingenschlögel mit ein paar amüsanten Experimenten auf. Passend zum Titel »Atlanticus« brachte er seine Trompete zum Blubbern und Glucksen, indem er in eine mit Wasser gefüllte Schüssel hineinblies. Außerdem bewies er, dass er in der Lage ist, Flügelhorn und Trompete gleichzeitig zu spielen, was ihm einen besonderen Applaus des Publikums einbrachte. Einen schönen Akzent setzte am Schluss als Gast noch Ellen Czaya mit ihrer Bassflöte.

doppelter PAulVirtuos wie immer.     Foto: mr

Der Jazzclub öffnet seine Pforten wieder am 14. Februar mit der neuseeländischen Sängerin Hattie St. John und ihrem Quartett. Auf dem Programm steht swingender Jazz aus dem Great American Songbook.

mr

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 1 – Donnerstag
1. Januar 1914
Zeppelin in Neukölln.
Graf  Zeppelin, der seit etwa vierzehn Tagen in der Reichshauptstadt weilte und auch die Weihnachtszeit hier verbrachte, besuchte am Dienstag die Propellerfabrik von Lorenzen in der Münchenerstraße 46. Er besichtigte die Fabrikationsanlagen aufs eingehendste, und sprach den Leitern des Unternehmens, das wiederholt für die Militärverwaltungen wie auch für die privaten Luftschiffergesellschaften Luftschrauben lieferte, seine Anerkennung aus. Der Besuch währte ungefähr drei Viertelstunden. Vom Publikum wurde der Graf, als er die Fabrik betrat, sofort erkannt und stürmisch begrüßt. Am Abend hat Graf Zeppelin die Reichshauptstadt mit dem fahrplanmäßigen Schnellzug 8 Uhr 25 Minuten wieder verlassen und kehrte nach Friedrichshafen zurück.

Nr. 2 – Sonnabend
3. Januar 1914
Von der großen Berliner Straßenbahn wird uns geschrieben: Der starke Schneefall war nicht imstande, den Straßenbahnbetrieb empfindlich zu stören. Dadurch, daß auf sämtlichen Strecken während der Nachtzeit Motorwagen und Schneepflüge den Betrieb aufrecht erhielten, wurde die Anhäufung größerer Schneemassen auf dem Bahnkörper verhindert, so daß früh der fahrplanmäßige Verkehr im allgemeinen aufgenommen und durchgeführt werden konnte. Eine Einschränkung trat nur insofern ein, als Anhänge= und Einsetzwagen fortgelassen wurden. Die Erfahrungen der Schneefälle früherer Jahre haben gelernt, über Schwierigkeiten, die damals unüberwindlich schienen, hinwegzukommen. Der für solche Fälle bis ins Einzelne ausgearbeitete Mobilmachungsplan konnte reibungslos und wirksam ins Werk gesetzt werden. Gleich bei Beginn des Schneefalles wurden 61 Salzwagen und 300 Schneeräumewagen auf die Strecke geschickt, die seither fortdauernd tätig sind. 1500 Straßenbahnangestellte und 2500 aushilfsweise eingestellte Schneeschaufler arbeiten augenblicklich. Wir glauben, auf den unter denkbar schwierigsten Umständen erzielten Erfolg hinweisen zu dürfen.

Nr. 11 – Mittwoch
14. Januar 1914
Gefoppte Arbeitslose.
Eine wahre Völkerwanderung ergoß sich gestern morgen nach der Roseggerstraße. In einem Berliner Blatte war ein Inserat erschienen, daß der Druckereibesitzer Heinzelmann einen Hausdiener gegen 27 Mark Wochenlohn suche. Die Vorstellung sollte von 7–10 Uhr erfolgen. Hunderte von Arbeitslosen begaben sich infolgedessen gestern früh nach der H.‘schen Wohnung, doch wurde ihnen nicht geöffnet. Nachdem die Arbeitsuchenden erfahren hatten, daß das Geschäftslokal des H. sich Elbestraße 31 befinde, begaben sie sich in geschlossenem Zuge dorthin. Hier wurden sie aber nach der Wohnung in der Roseggerstraße verwiesen und abermals zog die Menge nach genannter Straße. Diesmal wurde ihnen geöffnet, doch erklärte H., von dem Inserat nichts zu wissen, es müsse sich jemand einen schlechten Scherz gemacht haben. So blieb den gefoppten Arbeitslosen nichts weiter übrig, als sich grollend zu entfernen. – Sollte es nicht möglich sein, den Urheber des gemeinen Streiches zu ermitteln und zur Bestrafung zu bringen?

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Faszination Zeppelin

Eine neue Ära des Reisens mit der »fliegenden Zigarre«

Auch wenn es sie längst nicht mehr gibt, haben die Luftschiffe des Grafen Zeppelin bis heute ihre Faszination bewahrt.
Ferdinand Graf Zeppelin (1838-1917) begann nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst 1891 mit der Entwicklung des Starrluftschiffes, das seinen Namen in kurzer Zeit weltberühmt machen sollte. Der eigentliche Durchbruch der Luftschiffe kam mit der ersten großen »Zeppelin-Katastrophe«. Am 5. August 1908 wurde »LZ 4«, das vierte Luftschiff, durch Sturm und eine Gasexplosion zerstört. Durch spontane Spenden kamen rund sechs Millionen Mark zusammen und ermög­lichten Zeppelin die Fortführung seines Werks.
1909 wurde die »Deutsche Luftschiffahrts AG« (DELAG) gegründet, die erste Luftschiff-Reederei der Welt. Sie beförderte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit sieben Luftschiffen auf 1.588 Fahrten 34.028 Personen, von denen keine zu Schaden kam, obwohl vier der Luftschiffe bei Unfällen zerstört wurden.
»LZ 127«, der den Namen »Graf Zeppelin« erhielt, erlangte durch zahlreiche spektakuläre Fahrten Weltruhm, darunter 1929 die einzige Erdumrundung eines Luftschiffes und eine Arktisfahrt 1931. Das Luftschiff hatte gewaltige Ausmaße: 236 Meter Länge, 105.000 Kubikmeter Gasfüllung, fünf Motoren für eine Reisegeschwindigkeit von 110 Kilometern pro Stunde und eine Reichweite von 10.000 Kilometern.
Für wohlhabende Geschäftsleute boten die Zeppeline eine Alternative zum Schnelldampfer. Sie brauchten von Deutschland nach New York nur zweieinhalb bis drei Tage, das Schiff war ein bis zwei Wochen unterwegs. Und der Luxus, den die Luftschiffe boten, war mit dem der Ozeandampfer durchaus zu vergleichen. Der Langstreckenverkehr rentierte sich, die Fahrten waren ausgebucht.
Am 6. Mai 1937 ging die »Hindenburg«, das mit 245 Metern Länge größte Luftschiff aller Zeiten, bei der Landung in Lakehurst bei New York in Flammen auf, 36 Personen verloren dabei ihr Leben. Diese Katastrophe beendete die Ära  der Luftschiffe.                                                                                                                              mr

Petras Tagebuch

Das Ende eines wundersamen Abonnements

Zum Ende eines Jahres habe ich immer wieder das Bedürfnis, Dinge abzuschließen. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, meine Zeitschriftenabonnements zu überprüfen und zu entscheiden, ob ich sie kündige.
Eine der Zeitschriften beziehe ich seit über zehn Jahren und bezahle nicht dafür. Irgendwie muss ich durch die Debitorenbuchhaltung gerutscht sein. Auch erhielt ich nie eine Zahlungsaufforderung oder Mahnung.
Es war mir aber so lästig, sie immer wieder zu entsorgen, dass ich mich nun entschloss, sie zu kündigen. Außerdem wurde die Zeitschrift im Laufe der Jahre in meinen Augen immer schlechter.
Erleichtert stellte ich fest, dass in diesem Fall sogar eine telefonische Kündigung möglich war. Also rief ich, ein wenig ängstlich, dort an. Die Kündigung wurde von einer Mitarbeiterin registriert, es fand das übliche Verkaufsgespräch statt. »Gefällt Ihnen die Zeitung nicht mehr?«, so die Mitarbeiterin. »Ich finde die Zeitschrift richtig gut, aber ich kann sie mir nicht mehr leisten. Irgendwo musste ich beginnen einzusparen und das sind die Abonnements«, erklärte ich. Dann wurden mir diverse Schnupperangebote zu Superkonditionen angeboten, die ich aber alle ablehnte. Sie passten so gar nicht zu meinem mir auferlegten Sparprogramm.
Freundlich fragte die Mitarbeiterin, ob ich die Zeitschrift noch bis Februar beziehen möchte, denn so lange hätte ich ja bezahlt. Ich schluckte, denn ich hatte ja noch nie dafür bezahlt. »Ich meine, die letzte Abbuchung war im November, dann kommt das bis Februar hin«, fantasierte ich der Frau vor. Sie bestätigte mich.
Das begreife ich nicht. Wie kann es sein, dass Geld für eine Zeitung, die ich seit vielen Jahren beziehe und nie bezahlt habe, trotzdem von einem Konto abgebucht wurde? Meins war es jedenfalls  nicht. So etwas könnte mir aber ruhig häufiger passieren.